Selbstwert - Sabine Otremba
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Selbstakzeptanz in Zeiten von Social Media

Es gibt diese Momente, in denen wir mit uns im Reinen und rundum zufrieden mit unserem Leben. Diese Phasen der Selbstakzeptanz sind kostbar und vor allem sind sie selten, da wir im Social-Media-Zeitalter leben. Selbstoptimierung steht hoch im Kurs und böse Zungen könnten sogar behaupten, dass es mit der Selbstakzeptanz bergab ging, als das Internet auf dem Siegeszug war. Oder eher: Die sozialen Netzwerke und hier sind besonders Instagram und Facebook zu nennen. So kurzweilig Instagram und Facebook auch sein mögen, der bildgewaltige Selbstoptimierungswahn, mit dem wir tagtäglich konfrontiert werden, kann uns ganz schön zusetzen. Was auch immer online gefördert wird, Selbstakzeptanz gehört nicht dazu. Und so schreibt Ildikó von Kürthy in ihrem Buch „Neuland“ ganz treffend:

 

„Es ist ein schlimmes Laster unserer Zeit, dass wir glauben, wir dürften nicht so bleiben, wie wir sind.“

Wie gelingt es uns, Social Media so in unser Leben zu integrieren, dass es unser Selbstwertgefühl nicht pulverisiert? Wir haben mit Instahelp Psychologin Isabelle Diwoky darüber gesprochen.

 

Wie können wir trotz Instagram Selbstakzeptanz für den eigenen Körper entwickeln?

Der Dauerbeschuss perfekt retuschierter und in Szene gesetzter Vorbilder zermürbt uns. Eine Studie der britischen Royal Society for Public Health (RSPH) ergabt, dass sieben von zehn Nutzern (1500 Befragte im Alter von 14-24 Jahren) nach dem Besuch von Instagram ein schlechteres Körpergefühl hätten. [1]Zudem ist das, was uns auf Instagram gezeigt wird, nur selten realistisch. Autorin und Philosophin Rebekka Reinhard konstatiert: „Die Chance eines jungen Mädchens, so auszusehen wie ein mit Photoshop bearbeitetes Topmodel, liegt bei etwa 0,1 Prozent.“[2] Der Verstand weiß das und dennoch versuchen wir, mit diesen unerreichbaren Idealen mitzuhalten. Und fühlen uns schlecht, wenn wir dabei scheitern. Was können wir tun, um mehr Selbstakzeptanz für den eigenen Körper entwickeln?

Isabelle Diwoky: Bei häufigem, täglichem Konsum selbstwertschädigender Medien wird Selbstakzeptanz enorm erschwert. Wir Menschen vergleichen uns ständig mit den anderen. Ob on- oder offline, so funktionieren wir als soziale Wesen, so schätzen wir unseren sozialen Status ein. Zu wissen wo wir stehen und dass wir “eh gut dastehen” ist uns enorm wichtig. Online-Vergleiche aber sind retuschiert, geschönt, zeigen nur ausgewählte Teile der Realität. Das können wir noch so wissen; ein Teil von uns, der der sozial vergleicht, ist schneller als wir denken können und fühlt gleich mal Neid auf andere, Unzufriedenheit, etc. mit seinem (vermeintlich) schlechterem Status. Wichtig zur Steigerung der Selbstakzeptanz ist: Sich häufig genug die Möglichkeiten zu schaffen, sich in der Realität (live) mit echten Menschen statt mit Online-Selbstmarketingprodukten zu vergleichen.

Wie formbar ist die Persönlichkeit?

Der Gedanke, dass der Körper mit Sport, Diäten oder schönheitschirurgischen Eingriffen nach Lust und Laune in Form gebracht werden kann, ist weit verbreitet. Mittlerweile geht es aber auch der Persönlichkeit an den Kragen. Sie scheint wie aus Knete beliebig formbar zu sein. Und in dem Bestreben, witziger, schlagfertiger oder mutiger zu werden, setzen wir auf Coachings, Ratgeberliteratur uvm. – stets angetrieben von fluffigen Instagramsprüchen und motivierenden Zitaten. Stellt sich die Frage: Wie veränderbar ist die Persönlichkeit überhaupt? Können wir tatsächlich einfach so aus unserer Haut und was machen diese Instagram-Sprüche mit uns?

Isabelle Diwoky: Die Persönlichkeit ist nicht beliebig formbar, allerdings ist sie auch kein starres Konstrukt. Jeder Mensch hat mehrere Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung, je nach Situation, emotionalem Zustand, etc. Im Job hat man eine andere Rolle als im Privatleben, unter Freunden eine andere als bei den Schwiegereltern zu spielen. Zwischen diesen unterschiedlichen Rollen zu wechseln meistern die meisten Leute ohne darüber nachzudenken. Im Internet, z.B. bei Instagram oder anderen Social Media Netzwerken, ist es eine ganz andere Sache als sich live zu präsentieren. Es steckt zwar ein zeitlicher Aufwand dahinter, im Internet nach Zitaten etc. zu suchen – ein witziges, schlagfertiges oder schlaues Zitat zu posten ist aber nur bedingt ein Zeichen von Persönlichkeit oder eigener Kreativität, sondern zumeist davon, copy and paste zu können. Das sollte man sich bei einschleichenden Minderwertigkeitskomplexen ins Gedächtnis rufen.

Lebe dein bestes Ich: Wie viel Selbstoptimierung ist gesund?

Selbstoptimierung ist im Social-Media-Zeitalter ein größeres Thema als Selbstakzeptanz. Nun ist das Bemühen, eine bessere Version von sich selbst zu werden, ja nicht per se verkehrt. Wir brauchen Herausforderungen und wer sich nur in der Komfortzone einigelt, wird nie über sich hinauswachsen können. Woran merken wir aber, dass das normale Maß überschritten ist und wir uns in einen Selbstoptimierungswahn hineinsteigern?

Isabelle Diwoky: Selbstoptimierung ist unleugbar ein großer Antreiber unserer Zeit. Besser, schneller, gesünder, getakteter leben, keine Zeit für scheinbar nutzlose Pausen aufbringen. Aber es ist auch schon ins Blickfeld der Forschung geraten, dass diese Lebensweise nur bedingt durchhaltbar ist. Menschen, die sich keine Zeit für “nutzloses Abhängen” nehmen, sind gefährdeter dafür, irgendwann an psychischen Erkrankungen zu leiden. Es könnte helfen zu wissen, dass die meisten Leute mit intensivem Lebenswandel sich zwischenzeitig sehr wohl mehrtägige Pausen nehmen, in denen sie nichts “Sinnvolles” tun, sondern im Bett oder auf der Couch abhängen, fernsehen, am Computer spielen… – aber nachher einfach nicht darüber reden. Weil es ja nicht zum Bild des durch und durch selbstoptimierten Menschen passt, das sie auch von sich haben und nach außen zeigen wollen. Und weil es ihnen peinlich ist.

Ist Selbstakzeptanz eine Frage des Alters?

Nun könnte man denken, dass die Selbstakzeptanz mit zunehmendem Alter steigt und der Zwang zur Selbstoptimierung irgendwann ein Ende hat. Mittlerweile werden allerdings die „neuen Alten“ zu Idolen. Frauen wie Iris Apfel (95), die mit über 80 Jahren zur Stilikone wurde. Oder die Rolling Stones, die beweisen, dass man mit weit über 70 noch Konzerthallen füllt und noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Stellt sich die Frage: Hört das denn nie auf?

Isabelle Diwoky: Selbstakzeptanz zu steigern, Akzeptanz überhaupt zu steigern, Erlebnisse zu integrieren, ein Gesamtpaket zu schaffen, so dass man sagen kann, man hatte trotz allem insgesamt ein gutes oder sinnvolles Leben- das ist eine Entwicklungsaufgabe des Alters. Keine kleine, einfache Aufgabe ist das, den guten Abschluss schaffen, den Sinn im Ganzen zu finden und zu akzeptieren: Das wars, das war mein Leben. Es geht bald zu Ende. Diese Dinge hab ich gemacht, diese nicht.

Von Personen gehobenen Alters zu erfahren, die sich nicht mit diesen “klassischen” Entwicklungsaufgaben beschäftigen, nicht in den Ruhestand gehen oder geschickt werden, sondern weiter “ihr Ding” machen- können und dürfen-, kann natürlich irritieren. Vor allem, wenn sie bejubelt und zu Idolen der jüngeren Generationen werden. Das gibt natürlich dem Leben auch jede Menge Sinn, noch dazu viel leichter als wenn man diesen erst mühsam im Vergangenen suchen muss. Und man akzeptiert sich selbst ganz großartig, indem man einfach bei dem bleibt, was man kann und mag.

Ihre persönliche Strategie, um Social Media mit kühlem Kopf zu begegnen?

Isabelle Diwoky: Social Media weist ein weites Spektrum auf. Während ich mich etwa in inhaltlich eingegrenzten Foren gerne informiere, Wikis, Podcasts und Webinare als großartige Hilfsmittel um etwas zu lernen nutze und Bewertungsportale durchaus in Kaufentscheidungen miteinbeziehe, kann ich Sozialen Netzwerken, die hauptsächlich der Selbstdarstellung dienen, persönlich wenig abgewinnen. Diesem Hobby gehe ich nicht nach.

 

Fotocredits: iStock.com/npdesignde

 

Quellen:
[1] Royal Society For Public Health: https://www.rsph.org.uk/about-us/news/instagram-ranked-worst-for-young-people-s-mental-health.html (08.08.18)
[2] Rebekka Reinhard: Schön!, Ludwig Buchverlag (2013)

Aktualisiert am: 18. November 2019