Familie - Dr. Annette Wallisch-Tomasch (Instahelp)
5 Minuten Lesezeit

So funktionieren Erinnerungen – Suchmaschine Hippocampus

Teil 3 der Serie “5 Schritte für mehr Achtsamkeit in der Familie”

In den ersten beiden Artikeln (So verstehe ich dich endlich & Impuls und Kontrolle – Gegensätze ziehen sich an!) haben wir uns dem Gehirn und einer Auswahl an wichtigen Strukturen gewidmet: Dem (Prä-)Frontalcortex, der die Oberherrschaft und (bestenfalls) das letzte Sagen hat sowie das emotional getriebene Basalhirn mit der launigen Amygdala. Wenn es uns gelingt, diese Anteile zu „integrieren“, schaffen wir seelische Balance für Kind, Erwachsenen und die ganze Familie.

Nun zoomen wir uns hinein, um nachzusehen, wer Verwalter unserer Hirndateien ist: Der Hippocampus. Unsere interne Suchmaschine. Er sortiert und verwaltet all unsere Erlebnisse in Form von Erinnerungen.

Record – Play – Replay: Je öfter desto besser!

Wir Menschen funktionieren wie ein guter Recorder. Ein Wunderdings-Gerät, das Dinge nicht nur optisch (Sehen), akustisch (Hören) und olfaktorisch (Riechen) aufnimmt und am schier unbegrenzten Datenchip abspeichert, sondern auch noch sensorisch (Spüren) und emotional (Fühlen) Eindrücke sichert. Unsere Wahrnehmung: Ein Wunderwerk eben!

Die dritte der fünf Integrationsmöglichkeiten, die in dieser Reihe vorgestellt werden, ist das Bewusstmachen und „Integrieren“ von Erinnerungen:

Mit dem richtigen, heilsamen Suchbefehl stöbert der Hippocampus auch noch unbewusste gespeicherte Ereignisse auf, die wir lieber verdrängt haben.

Erinnern, Verarbeiten – Bereit sein für Neues!

Beim Bewältigen von Erlebtem spielt hier das bewusste und behutsam begleitete Erinnern, Nacherzählen und Besprechen eine wichtige Rolle. Dies ist ein zentraler Teil psychologischer Beratung, z.B. die Instahelp Onlineberatung. Hier steht das in-Worte-Fassen und den erlebten Gefühlen einen-Namen-Geben im Mittelpunkt. Wir erinnern uns an Artikel 1 (So verstehe ich dich endlich!), wo es sich um das ungleiche Duo „Gefühle und Sprache“ dreht:
Etwas Benennen zu können heißt, es zu kontrollieren, dessen „Herr“ oder „Frau“ zu sein und auch belastende Erlebnisse gut „verdauen“ zu können.

Erinnere dich an dein Glück!

Nicht nur belastende Dinge – und deren Bewältigung – sind es wert, erinnert zu werden. Auch unser alltägliches Glück will gepflegt werden!
Der einfachste und zugleich wundersamste Trick, sich täglich an schöne Erlebnisse zu erinnern. Unsere Suchmaschine richtet sich mit diesem Auftrag nun immer öfter auf positive Dinge und kratzt so manch vergessenes Glückserlebnis aus der hintersten Hirnwindung. Gleich wie eine sehr bekannte Suchmaschine am PC – je öfter, desto treffsicherer kommt das Ergebnis. That’s magic!
 

(Not) For kids only

Was also tun im Alltag? Hier die konkreten Strategien von Daniel Siegel und Tina Bryson 1:

Die „Fernbedienung des Geistes“ nutzen: Wiederholtes Nacherzählen von schmerzhaften Erlebnissen

Wenn Ihr Kind seit einem Jahr keine Spaghetti mehr isst, weil damals die Tomatensoße so heiß war – dann kann man eben was anderes kochen. Gut. Wir lernen aber hier: Darüber reden hilft! Die Situation nacherzählen, die Gefühle benennen („Das hat echt wehgetan, die Brandblase im Mund, stimmt?“) und Bewältigungsschritte nacherzählen („Gottseidank sind wir schnell zum Arzt. Du warst sehr tapfer und hast toll mitgemacht. Das Eis danach hat dir geschmeckt“).

Immer und immer wieder. Das nervt manchmal. Ein Zuviel kann es hier aber nicht geben – sofern Sie das positive Abschließen betonen und das Kind dafür loben, was es daraus gelernt hat!

Ein Zaubertrick zur Gefühlskontrolle, falls das (Schul-)Kind darunter leidet, über das Schmerzhafte zu reden, ist die „innere Fernbedienung“. Das Kind hat jederzeit die „magische Macht“, beim Erzählen zu stoppen/pausieren („Ich mag nicht mehr, das macht mir Angst“), vorzuspielen („Die Stelle überspring ich mal lieber“), eventuell zurückzuspielen („Was haben wir eigentlich davor gemacht?“) und später wieder auf Play zu drücken („Jetzt mag ich weitererzählen“). So wird Ihr kleiner Held/Ihre Heldin zum Meister und zur Meisterin des eigenen Drehbuches!

Sich an das Erinnern erinnern: Im Alltag Möglichkeiten & Rituale zum Erinnern schaffen

Schaffen Sie täglich Raum, Zeit und Intimität für vertrauliches Gespräch. Das Gespräch beim Essen nach Kindergarten/Schule, die Kuschelzeit vor dem Zubettgehen, die Autofahrt zur Sportstunde – es gibt viele Fixpunkte im Tagesablauf, wo wir einander vom Tag erzählen, von Ärgernissen und von Schönem. Extra-Tipp der Autorin: Abends immer mit positiven Erinnerungen abschließen! Problemthemen tagsüber besprechen und abends versöhnlich bzw. mit Lösungsvereinbarung beenden.

Für Erwachsene

Unsere eigenen Erinnerungen explizit machen

Wir können unsere eigenen Erinnerungen wachrufen, „explizit machen“. Genau zum selben Zweck, warum wir dies mit unseren Kindern machen: Alte Schrottplätze entpuppen sich dann als wahre Schatzgrube an Erfahrung, Lernen und Wachstum. Wir haben die Chance, neue Entscheidungen zu treffen – auch gegen bestimmte Prägungen unseres Lebens.
Fragen Sie sich:

  • Inwieweit beeinflusst mich meine Vergangenheit?
  • Was prägte mich in meiner Rolle als Frau & Mutter, Mann & Vater?
  • Was kann ich hinterfragen und neu entscheiden?

In diesem Bewusstsein gewinnen Sie eine neue Freiheit, der Vater oder die Mutter zu sein, der/die Sie schon immer sein wollten!

Und bald werden Sie Erinnerungen haben, an die Sie sich gerne erinnern werden!

Anmerkung:
In dieser Artikel-Serie werden fünf Integrationsmöglichkeiten nach dem innovativen Konzept von Dan Siegel und Tina Payne Bryson vorgestellt:

  1. Gefühle und Sprache (Rechts und Links)
  2. Impuls und Kontrolle (Unten und Oben)
  3. Erinnerungen und Verarbeitung (Suchmaschine Hippocampus)
  4. Wahrnehmung & innere Welt (Autofokus: Bilder, Gedanken, Gefühle)
  5. Wir – Ich und Du (Magie Spiegelneuronen)

Alle basieren auf der Annahme, dass wir mit (hirn-) entwicklungsgerechter Kommunikation unsere Kinder und uns selbst beim Wachstum unterstützen können.

Literaturverweis zum Nachlesen:
Siegel, Daniel J. & Bryson, Tina Payne, Achtsame Kommunikation mit Kindern – 12 revolutionäre Strategien aus der Hirnforschung für die gesunde Entwicklung ihres Kindes, Verlag arbor

Fotocredit: (c) iStock.com/Kerkez

Aktualisiert am: 26. Januar 2023