Liebe: So ist sie wirklich
Meine die Liebe betreffende Gehirnwäsche begann, ganz klassisch, mit Märchen. Es folgten Hollywood-Romanzen mit tränenreichen Happy Ends. Und natürlich fieberte ich mit, als Carrie Bradshaw und ihre Freundinnen unermüdlich ihren Mr. Right suchten. Irgendwann hatte ich es kapiert: Liebe ist alles. Wenn Liebe im Spiel ist, wird alles gut. Liebe überwindet Hindernisse und besiegt alle Schwierigkeiten. Wäre da nicht eine leider nicht zu vernachlässigende Kleinigkeit: Märchen oder ein Happy End à la Hollywood sind in etwa so nah an der Realität wie Tolkiens „Herr der Ringe“.
Liebe – Wunsch und Wirklichkeit
Plötzlich schneit er in unser Leben. Dieser eine Mensch, mit dem alles möglich wird. Die verwandte Seele. Herzensmensch, bester Freund – Garant für wunderbare Gespräche und tollen Sex. Sogar hellsehen kann dieses Wunderwesen, denn es liest uns alle Wünsche von den Augen ab. Liebe wie im Film! Ein Rausch der Gefühle und der Hormone – die unser Hirn kurzfristig ausschalten. Allerdings währt kein Rausch ewig. Auch dieser nicht. Irgendwann landen wir auf dem Boden der Tatsachen und reiben uns verwundert die Augen. Wir vergleichen unsere Beziehung mit dem, was über die Leinwand flimmert und stellen wir mal wieder fest, dass Hollywood uns den entscheidenden Teil vorenthält. Und der nennt sich: gemeiner Alltag.
Liebe im Alltagstest
Es hat schon einen Grund, dass wir nur solange gemeinsam mit Holly Golightly (Audrey Hepburn) und Paul Varjak (George Peppard) bei Tiffany frühstücken dürfen, bis sich die beiden regen- und tränenüberströmt in die Arme schließen. Oder dass uns ein so ungleiches Paar wie Vivian (Julia Roberts) und Edward (Richard Gere) aus “Pretty Woman” nicht an seinem Beziehungsalltag teilhaben lässt. Sonst bekämen wir nämlich rasch mit, dass die Probleme, mit denen sich ganz normale Liebende herumschlagen, vor Traumpaaren nicht haltmachen.
- Die Wahrheit: Menschen ändern sich. Wir ändern uns – hoffentlich – und ebenso ändern sich die, die wir lieben. Wenn wir das akzeptieren, haben wir die Chance, miteinander zu wachsen und die Beziehung lebendig zu halten. Anstatt damit zu hadern, dass der Partner nach fünf Jahren nicht mehr der Mensch ist, in den wir uns verliebt haben. Oder uns verzweifelt an ein Konstrukt zu klammern, das so schon lange nicht mehr existiert.
- Der Wunsch: Dieser Mensch sollte sich ändern. Es wäre der Liebe zuträglicher, wenn der andere nur ein bisschen ordentlicher, zuverlässiger oder sparsamer wäre? Hier lohnt ausnahmsweise tatsächlich der Blick nach Hollywood. Im Blockbuster „Das Tagebuch der Bridget Jones“ ist es nicht umsonst ein Satz von Mark Darcy, der Bridget und ihre Freunde aus dem Konzept bringt: “I like you very much. Just as you are.“ Ja, wir reden von einem Film und natürlich entspringt der Satz der ersten Verliebtheit. Dennoch trifft er den Punkt. Sind wir bereit, den anderen so zu nehmen, wie er jetzt ist? Wenn der andere sich niemals – in keinem einzigen Punkt – ändern würde, könnten wir mit diesem Menschen zusammenleben? Oder planen wir im Geist bereits erste Umerziehungsmaßnahmen?
- Im Film sind Gegensätze das Salz in der Suppe. Und in der Realität? Sind sie durchaus spannend. Zuerst. Irgendwann ist es allerdings nicht mehr aufregend, dass der andere jedes Wochenende durch die Clubs ziehen möchte. Sondern anstrengend. Auch sein Faible für Sport nervt uns und das, was er „ordentlich“ nennt, ist für uns „steril“. Überhaupt wünschen wir uns jemanden, dem wir nicht erklären müssen, warum liebegewonnene Gewohnheiten oder ein Museumsbesucht nicht langweilig sind. Bei Freizeitaktivitäten lässt sich mit viel Toleranz und Akzeptanz vielleicht noch der goldene Mittelweg finden. Auf dass beide ihren Horizont erweitern und Spaß daran haben, in die Welt des anderen einzutauchen. Bei Charaktereigenschaften hingegen geht es ans Eingemachte. Wenn Eule (Spätaufsteher) auf Lerche (Frühaufsteher) trifft oder kreativer Unruhegeist auf ordnungsliebendes Gewohnheitstier, ist Fingerspitzengefühl gefragt. Damit die Liebe nicht von unzähligen Kompromissen zermürbt wird.
- Eine Krücke namens Liebe. Oder: „Ohne dich bin ich nichts wert. Du zeigst mir, dass ich liebenswert bin.“ Klingt – so oder in verschiedenen Variationen – im Film unglaublich romantisch und ist auch ein bisschen schmeichelhaft. Schließlich ist es unsere Liebe, die dem anderen die Augen öffnet. Wir sind es, die dem anderen das Gefühl vermittelt, endlich etwas wert zu sein. In der Realität ist es eine große Bürde, dem geliebten Menschen Tag für Tag aufs Neue versichern zu müssen, dass er es wert ist, geliebt zu werden. Irgendwann kann so eine Last selbst die stärkste Liebe in die Knie zwingen. Weil Selbstwert oder Selbstachtung leider nichts sind, was einem von außen eingeflößt werden kann – auch nicht auf einem Zuckerwürfel in Herzchenform.
Wagen wir es trotzdem
Desillusionierend? Nur auf den ersten Blick. Tatsächlich ist es unglaublich befreiend, wenn wir uns von diesen überidealisierten Vorstellungen verabschieden, wie Liebe angeblich zu sein hat. Denn erst dann können wir unsere Liebe leben. So, wie sie ist. Apropos Happy End à la Hollywood: Erstaunlicherweise gibt es für Bridget Jones und Mark Darcy kein Happy End – zumindest nicht im Buch. Die Autorin hat den armen Mark kurzerhand aus der Gesichte geschrieben und Bridget wieder ins Singleleben katapultiert. Schade.
Denn das suggeriert unterschwellig, dass Liebe neu und aufregend sein muss. Dass sie in einer goldverzierten Verpackung daherkommt und die Kirsche auf der Torte ist. Im wahren Leben werden wir älter und unsere Liebe – hoffentlich – mit uns. Manchmal ist unsere Liebe ganz und gar nicht aufregend, stattdessen regt sie uns unglaublich auf. Sie bekommt Kratzer, Dellen und trägt so manche Verletzung davon. So wie wir. Und doch lohnt es sich, an dieser Liebe zu arbeiten. Sie wächst mit uns, wenn wir es zulassen. Welche Hollywood-Romanze kann das schon von sich behaupten?
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