Mut oder Komfortzone?
Zufrieden dahinleben? Gar nicht so einfach. Erst recht nicht, wenn wir die Bequemlichkeit unserer Komfortzone zu schätzen wissen. Die Komfortzone ist nämlich die Wurzel allen Übels. Und da es als feige gilt, länger als nötig in der Komfortzone zu verweilen, wird an unseren Mut appelliert. Mut war früher eher James Bond, Lara Croft oder Reinhold Messner vorbehalten, deren Abenteuer wir bequem von der Couch aus verfolgen konnten. Doch nun sind wir selbst dran und abhängig davon, welche Medien wir konsumieren, sollen wir mutig unsere Träume leben, uns auf die Suche nach dem Glück machen oder wenigstens Mut zum Ich beweisen.
Wenn wir nun so überhaupt nicht den Wunsch verspüren, alle Zelte hinter uns abzubrechen, um uns mit einem Bed and Breakfast in der Provence einen lang gehegten Traum zu erfüllen, stünde uns wenigstens ein aufregendes Hobby gut zu Gesicht. Etwa: Fallschirmspringen, Paragliding oder Bungee-Jumping. Irgendetwas, das überdeutlich zeigt, wie lässig wir jede Mutprobe meistern – wenn wir uns nicht mal eben auf einen Espresso im Stehen in unsere Komfortzone zurückziehen. Ganz schön mutig, da noch zu gestehen, dass wir am liebsten ein gutes Buch lesen. Oder uns mit Freunden treffen – im Restaurant und nicht an der Eiger-Nordwand. Stellt sich die Frage: Was ist Mut überhaupt? Und ist es wirklich so verwerflich, wenn wir unsere Komfortzone mögen?
Was ist Mut?
Mut hat nicht zwangsläufig etwas mit Extremsport oder waghalsigen Aktionen zu tun. Mut ist auch nicht die Abwesenheit von Angst. Denn wie kann jemand, der keine Angst hat, mutig sein? Die wahre Mutprobe beginnt, sobald wir über unseren Schatten springen müssen. Und nur wir selbst wissen, wie unsere Schatten aussehen. Mag sein, dass unsere Herausforderung im Kletterpark liegt, weil wir Höhenangst haben. Vielleicht sehen unsere Mutproben aber auch ganz anders aus. Etwa:
- Für das einstehen, was uns wichtig ist. Ungeachtet der Konsequenzen.
- Zu unseren Schwächen stehen und Verletzlichkeit zeigen – auch wenn daraufhin unsere coole Fassade bröckelt.
- Nein sagen, wenn es nötig ist. Und den Gegenwind aushalten.
- Ein ehrlich gemeintes Kompliment aussprechen – auch auf die Gefahr hin, dass wir uns damit lächerlich machen.
- Anderen vertrauen – auch wenn wir schon so oft enttäuscht wurden.
- Verantwortung für uns und unser Leben übernehmen.
- Zueinander stehen, anstatt sofort das Handtuch zu werfen, wenn die ersten Schwierigkeiten auftauchen.
Mut hat durchaus etwas mit einem Sprung zu tun. Aber nicht unbedingt mit einem Fallschirm oder an einem Bungee-Seil hängend in die Tiefe – sondern über unseren Schatten
Mut zur Komfortzone
Mutige Schritte führen uns immer aus unserer Komfortzone heraus. Und das ist gut so, denn Herausforderungen sind überlebenswichtig. Die Psychologin und Autorin Judith Sills schreibt dazu:
“A life that ist too much work erodes the body,
but one that requires too little effort depletes the soul.” [1]
Wir tun uns also einen großen Gefallen, wenn wir die für uns richtige Mischung aus Mutausbruch und Rückzug in die Komfortzone finden. Wie genau das aussieht, können nur wir selbst entscheiden. Es ist mutig, diese oder jene Grenze zu überschreiten. Es ist allerdings nicht minder mutig, wenn wir für uns sinnvolle Grenzen so lange anerkennen, wie es sich richtig anfühlt. Weil sie uns nicht nur begrenzen, sondern auch Orientierung oder Schutz bieten. Und manchmal bleibt uns vielleicht nur die Erkenntnis, dass heute kein guter Tag ist, um mutig zu sein. Weil es einfach Tage gibt, an denen wir weder seelisch noch körperlich dazu in der Lage sind, um mutig über uns hinauszuwachsen.
Mut ist, es wieder zu versuchen…
An manchen Tagen ist es völlig in Ordnung, wenn wir uns sagen: „Ich bleibe heute einfach in meiner Komfortzone und versuche es morgen wieder.“ Denn Mut ist nicht nur etwas für die Lara Crofts oder James Bonds dieser Welt.
“Mut brüllt nicht immer laut. Manchmal ist er die leise Stimme am Ende des Tages,
die sagt: Morgen werde ich es wieder versuchen.”
(Mary Anne Rademacher)
Geben wir uns einen Ruck, wenn wir mutig sein wollen, sind aber trotzdem nett zu uns, wenn wir am Ende des Tages doch nur die Nasenspitze aus unserer Komfortzone gestreckt haben. Vielleicht gelingt es uns morgen, einen Schritt weiter zu gehen als bisher. Und das klappt am besten, wenn wir nicht so oft auf die Stimme hören, die uns für das verhöhnt, was wir alles nicht können. Sondern auf die, die uns Mut macht.
Quellen:
[1] Judith Sills, Ph.D.: The Comfort Trap, Viking Verlag, 2004
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