Verzeihen: Theorie und Praxis
„Das verzeihe ich dir niemals!“ – wohl kaum jemand, der das nicht schon gesagt oder gedacht hat. Nun ist uns theoretisch schon klar, dass es keine gute Idee ist, lebenslangen Groll zu hegen. Nur: Wie sieht es aus, dieses Verzeihen? Heißen wir damit alles gut, was uns angetan wurde? Läuft es darauf hinaus, dass wir hinterher wieder „beste Freunde“ werden müssen? Ist ein gutes Leben wirklich nur möglich, wenn wir alles vergeben, weil wir sonst verbittert und griesgrämig werden? Müssen wir unseren Eltern verzeihen? Und wann sollten wir uns selbst vergeben? Wir haben mit Instahelp-Psychologin Magdalena Harzl darüber gesprochen.
Vergeben – weil es gut für uns ist
Eine buddhistische Weisheit lautet: Sei gut zu dir und vergib den anderen. Das klingt ungewöhnlich, besonders für alle, die eher „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ im Sinn haben. Vergeben, weil es gut für UNS ist – was genau ist damit gemeint?
Magdalena Harzl: Indem wir anderen etwas nachtragen, beschäftigen wir uns innerlich sehr intensiv mit dem was uns angetan wurde. Diese negativen Gedanken, die uns ‚das Angetane‘ zum Teil wieder-erleben lassen beeinflussen demnach unser Denken, unser Handeln und damit sehr wahrscheinlich auch unser körperliches Wohlbefinden. Wenn wir hingegen Verzeihen, schließen wir gewissermaßen mit dem was uns angetan wurde ab. Wir haben unseren Kopf wieder frei um uns den schönen Dingen des Lebens zu widmen, diese vor allem auch wieder wahrzunehmen und an uns heranzulassen.
Vergeben heißt nicht gutheißen
Wenn wir etwas vergeben bedeutet das nicht, dass wir alles gutheißen, was uns angetan wurde?
Magdalena Harzl: Nein – es bedeutet auch nicht, dass das was uns angetan wurde damit vergessen ist oder in irgendeiner Form gerechtfertigt war. Verzeihen bedeutet vielmehr seinen eigenen, inneren Frieden zu finden.
Ist das klärende Gespräch nötig?
Wenn das, was wir zu verzeihen haben, so gewaltig ist, dass es einst zum Kontaktabbruch kam – wie ratsam ist es dann, ein klärendes Gespräch zu suchen? Ist ein klärendes Gespräch überhaupt nötig oder können wir auch „einseitig“ vergeben?
Magdalena Harzl: Wenn sich herausstellt, dass durch den Kontaktabbruch eine Beziehung/Freundschaft zu Bruch gegangen ist, die nach wie vor eine große Rolle in meinem Leben spielt und mir noch immer wichtig ist, kann ich mir schon gut vorstellen, dass ein klärendes Gespräch von Vorteil sein kann. Wichtig ist es, sich vorher im Klaren darüber zu sein, was ich mir von dem Gespräch erwarte (etwa eine Entschuldigung?) und ob meine Erwartungen realistisch sind. Sind die Erwartungen eher unrealistisch, laufe ich Gefahr erneut enttäuscht und verletzt zu werden!
Müssen wir unseren Eltern vergeben?
Müssen wir unseren Eltern verzeihen? Und wie gehen wir damit um, wenn wir es – beispielsweise aufgrund traumatischer Kindheitserlebnisse – nicht können?
Magdalena Harzl: Niemand MUSS irgendjemandem irgendetwas verzeihen! Verzeihen kann als Chance gesehen werden, zur Ruhe zu kommen, gedanklich nicht immer wieder erleben zu müssen, was einem geschehen ist! Es gibt sicherlich Ereignisse, die es einem nur sehr schwer bzw. gar nicht möglich machen, diese zu verzeihen. Vielleicht kann der richtige Weg in dem Fall der sein, SICH zu VERZEIHEN, dass man (noch) NICHT VERZEIHEN KANN! Und wer weiß, vielleicht kommt ja irgendwann der Tag, an dem man dann soweit ist…
Vergeben, vergessen – beste Freunde?
Vergeben und vergessen – doch wie geht’s nun weiter? Ist es legitim, wenn wir dem anderen zwar verzeihen, ihm aber weiterhin am liebsten aus dem Weg gehen?
Magdalena Harzl: Meiner Meinung nach schon! Beim Verzeihen geht es ja auch nicht darum, dass Wunden gänzlich geheilt werden können….es können Wunden bleiben und wenn ich bemerke, diese immer wieder zu spüren wenn ich der Person begegne, ist es sicher das Besten für mich ihm/ihr aus dem Weg zu gehen.
Und wenn wir nicht vergeben können?
In spirituellen Kreisen scheint Vergebung ein Allheilmittel zu sein, anderenfalls droht uns ein freundloses Leben in Bitterkeit. Ist ein gutes Leben wirklich nur möglich, wenn wir alles verzeihen und jedem vergeben?
Magdalena Harzl: Das glaube ich nicht – zumal es sicher Erlebnisse/ Verletzungen gibt, die es einem nicht möglich machen, diese zu verzeihen! Insgesamt kann man jedoch sicher ein besseres Leben führen, wenn die positiven Gefühle und das Vertrauen in andere Menschen überwiegen.
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