Was unsere Schattenseiten über uns verraten
Warum bringen uns manche Menschen zur Weißglut? Und warum lösen wir selbst oft heftige Reaktionen bei anderen aus? Die US-Autorin Debbie Ford liefert überraschende Antworten. So viel vorweg: Es hat alles mit uns selbst zu tun!
Wir gehen durchs Leben und haben ein bestimmtes Bild von uns. Wir sind der Überzeugung, dass wir uns selbst sehr gut kennen. Wir wissen, was uns ausmacht, welche Charaktereigenschaften und Wesenszüge wir haben. Stimmen Sie zu?
Doch wie oft fragen wir uns eigentlich, warum uns manche Situationen und Verhaltensweisen, Persönlichkeitsmerkmale und Gefühle anderer so sehr verärgern, dass wir eine regelrecht leidenschaftliche Abneigung dagegen entwickeln?
Die Wahrheit ist: Vieles, das wir so verbissen ablehnen, hat sehr viel mit uns zu tun. Das schreibt die US-Autorin Debbie Ford, die sich in mehreren Büchern und Seminaren ausgiebig mit den verdrängten Anteilen der menschlichen Psyche beschäftigt hat. Sie sagt: Es sind vor allem unsere eigenen dunklen und verdrängten Seiten, die uns dazu führen, bestimmtes Verhalten anderer abzulehnen.
Der Schatten führt uns zu uns selbst zurück
„Schattenarbeit“ nannte Debbie Ford ihr Coachingkonzept, bei dem es darum geht, sich über verdrängte Persönlichkeitsanteile, Gefühle usw. bewusst zu werden und diese Schatten ins Licht zu führen. Denn nur, wer seine Schatten erkennt, annimmt und integriert, kann sie auflösen. Und das ermöglicht, Frieden mit sich selbst und anderen zu leben, persönlich zu wachsen und “ganz” zu werden.
Das Konzept des Schattens ist nicht neu – es wurde ursprünglich von dem Psychoanalytiker Carl Gustav Jung entdeckt. Nach seiner Theorie ist der Schatten die Kehrseite unserer „Persona“. Die Persona ist der Teil von uns, welcher der Außenwelt zugewandt ist. Debbie Ford hatte daraus den Prozess aus der Arbeit mit dem inneren Schatten entwickelt.
Wie zeigt sich der Schatten in der Praxis? Angenommen, Sie erlauben es sich selbst unbewusst nicht, offen, aufgeschlossen und kommunikativ zu sein und auf Menschen zuzugehen. Dann kann es sehr gut sein, dass besonders extravertierte und energiegeladene Personen in Ihnen eine Ablehnung erzeugen. „Wie kann man nur so aufdringlich sein!“ oder „Was soll das, er/sie flirtet einfach Leute auf der Straße an!“ könnten dann bekannte Reaktionsmuster sein.
Was passiert? Die eigene dunkle ungesehene und ungelebten Anteile werden weiter verdrängt und auf die andere Person projiziert. „Ich kann diesen Menschen einfach nicht ausstehen!“ kann so eine pauschale Grundannahme werden.
Erkennen Sie Ihren Schatten
Debbie Ford zeigt eine einfache Übung, mit der man schnell seine Schattenthemen ausfindig machen kann. Auf mehreren Seiten führt sie eine Aneinanderreihung von Worten aus, die der Leser/die Leserin durchgehen und dabei beobachten soll, welches Gefühl die einzelnen Worte auslösen. Zum Beispiel: „Gierig, Lügner, falsch, geizig, gehässig, eifersüchtig, rachsüchtig“ usw. Wenn es bei einem dieser Worte „klingelt“ – also wenn man beim Lesen des Wortes eine starke Abneigung verspürt, ist klar, dass sich hier der Schatten aus dem Unbewussten meldet.
Lassen Sie unangenehme Gefühle zu
Bei der Schattenarbeit geht es darum, dass wir alle viele Wesenszüge und Emotionen in uns tragen, um nicht zu sagen: Wir tragen alle alles in uns. Nur wenn wir mit unseren dunklen Seiten Frieden schließen und sie umarmen, können wir einen Ausgleich schaffen zwischen unserem bewussten Selbstbild und allem, was wir sind oder sein können, das wir in unserem Unbewussten verschlossen halten. Wir wachsen mit unserem Schatten also über uns hinaus.
Wer den Schatten ins Bewusstsein holt, kann die destruktive Energie des Schattens mindern und neue Lebensenergie freisetzen. Wer eine Aversion gegen Chaoten hat, darf sich erlauben, selbst auch chaotisch zu sein. Wer Lügner nicht ausstehen kann, darf sich mal erlauben, selbst zur Notlüge zu greifen.
Oft geht es auch um Gefühle, die verdrängt wurden. Wenn das Wort “Eifersucht” oder “Trauer” Angst auslöst, könnte das ein Zeichen sein, sich selbst diese Gefühle nicht zu erlauben und sie zu fühlen.
Frieden innen und außen
Schatten spielen auch in Partnerschaften eine große Rolle: Wer den anderen immer wieder beschuldigt, unpünktlich zu sein, darf sich erlauben, selbst auch mal zu spät zu kommen. Oder einfach mal ehrlich mit sich selbst zu sein: Wie oft war ich eigentlich selbst schon unpünktlich bei ihm/ihr?
Wer sich mit seinen eigenen Schatten beschäftigt, wird nicht nur einen größeren inneren Frieden spüren, sondern auch im Außen weniger Kämpfe austragen und harmonischer mit anderen zusammenleben.
Tipp: Wenn Sie beim Lesen dieses Artikels womöglich eine Aversion gegen das Thema entwickelt haben, könnte das ein Zeichen sein, dass es Zeit ist, das Buch gerade deshalb nun zu lesen …
Fotocredit Titelbild: iStock.com/francescoch