Liebenswerter Spleen oder behandlungsbedürftiger Zwang?
Für die einen ist es ein Spleen. Andere nennen es Schrulle, Marotte, Macke, Tick, Überspanntheit oder wunderliche Angewohnheit. Gemeint sind seltsame Angewohnheiten, die auf andere komisch wirken können. Und die manchmal die Frage aufwerfen, ob es sich noch um einen Spleen handelt oder doch schon um eine behandlungsbedürftige Zwang.
Gelegentlich schüttele ich über mich selbst den Kopf, wenn ich mal wieder einen Spleen pflege. Etwa indem ich den Kaffee morgens nur aus einer bestimmten Tasse trinken möchte. Oder Kleidungsstücke, mit denen ich unangenehme Erlebnisse verbinde, einfach nicht mehr tragen kann. Und mal wieder vergeblich versuche, meine Bücher zugleich nach Farben und Themen zu sortieren. Es beruhigt mich ein wenig, dass ich mich mit meinen Schrullen in scheinbar guter Gesellschaft befinde, denn sogar Prominente kultivieren ihre Macken oder einen Spleen.
Auch Promis haben ihren Spleen
Tagesschau-Sprecher Jens Riewa setzt am Morgen immer zuerst die linke Kontaktlinse ein. Drag-Queen Olivia Jones trägt grundsätzlich Schlafsocken – selbst im Hochsommer. Schauspielerin Liz Hurley hat zum Essen angeblich immer ihr eigenes Kinderbesteck im Gepäck. Und Fußballer Wayne Rooney kann nur einschlafen, wenn ein Fön oder Staubsauger für die richtige Geräuschkulisse sorgt. So mancher Spleen erlangt dank Film oder Serie sogar Kultstatus. Paradebeispiel hierfür ist die Fernsehserie „Ally Mc Beal“. In der US-Serie um die namensgebende Bostoner Anwältin pflegen Ally Mc Beal und ihre Kollegen so manch liebenswerten Spleen, der sie nachhaltig in die Herzen der Fans katapultiert hat. Und neben dem unterhaltenden Faktor lässt sich die Serie auch wie ein amüsantes Kuriositätenkabinett verschiedenster Macken betrachten.
Wenn der Spleen zum Zwang wird
Ein kleiner Spleen kann symphathisch und amüsant wirken. Oder uns im Fall ritualisierter Handlungen sogar dabei helfen, Sicherheit und eine gewisse Struktur in den Alltag zu bringen. Vor allem Kinder wissen diese wiederkehrenden Handlungen zu schätzen und manche dieser liebgewonnenen Rituale werden sogar bis ins Erwachsenenalter beibehalten. Problematisch ist es allerdings, wenn der kleine Spleen zur krankhaften Zwangshandlung wird und möglicherweise noch mit Angstgefühlen einhergeht. Doch wann wird der Spleen zum Zwang? Josef Aldenhoff, Psychiater, Neurobiologe und Autor („Bin ich psycho oder geht das von alleine weg?“) hat da eine einfache Antwort. „Wenn die Marotte beginnt, unser Leben zu bestimmen und sie anfängt, uns zu kontrollieren – und nicht umgekehrt -, kann die anfänglich harmlose Macke durchaus gefährlich werden“, so Aldenhoff.
Die ICD Klassifikation verrät, wann der Spleen zur Zwangsstörung wird
Genauer festgelegt sind die Kriterien für eine Zwangsstörung durch die sogenannte ICD Klassifikation (Internationale Klassifikation der psychiatrischen Krankheiten) der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Gemäß der ICD-10 gelten für eine Zwangsstörung folgende diagnostische Leitlinien:
- Die Zwangsgedanken und die daraus resultierenden Handlungen werden als Produkt des eigenen Geistes erkannt.
- Die Zwangsgedanken und Handlungen treten wiederkehrend über mindestens 14 Tage auf.
- Die Gedanken sind quälend und unangenehm, ebenso das Ausführen der Zwangshandlungen.
- Die Sinnlosigkeit dieser Gedanken und Handlungen wird erkannt, dennoch ist es unmöglich, beides zu unterlassen oder sich dagegen zu wehren.
All das hat nichts mehr mit einem harmlosen Spleen oder einem Ritual zu tun, das den Alltag strukturiert. Obwohl der Grat zwischen wohltuendem Ritual und einer Zwangshandlung, die vor Schaden und Unglück schützen soll, schmal sein kann. In extremer Ausprägung beeinträchtigt eine Zwangsstörung sogar soziale Kontakte oder die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit, weil sie ein normales Leben unmöglich macht. Spätestens hier ist es ratsam, sich professionelle Unterstützung ins Boot zu holen.
Ich selbst werde ab morgen einfach mal eine andere Kaffeetasse benutzen. Oder die Bücher anders als gewohnt einsortieren. Um mich selbst zu vergewissern, dass mein Spleen seinen Namen noch zu Recht trägt und ich ihn weiterhin mit einem amüsierten Lächeln betrachten kann.
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