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Therapie bei Depression: Ein Erfahrungsbericht

Kennst du jemanden, der an einer Depression erkrankt ist? Oder hast du vielleicht sogar selbst schon einmal depressive Phasen erlebt? Ich bin mir fast sicher, dass deine Antwort hier ein schmerzvolles “Ja” ist. Depression ist eine der häufigsten psychischen Erkrankungen (Jacobi et al., 2016) und durch die große Tabuisierung auch eine der gefährlichsten. Menschen, die an einer Depression leiden, ziehen sich oft zurück, da sie intensive Gefühle von Scham und Schuld erleben und der mangelnde Antrieb sie oft in ihren eigenen Wänden fesselt. Dieser Rückzug führt dazu, dass wir wenig Berührungspunkte mit Betroffenen haben und sich ein großes Stigma rund um dieses Thema aufgebaut hat.

Als Psychologin weiß ich, dass eine Depression behandelbar ist, wenn sie rechtzeitig erkannt und mit geeigneten Methoden therapiert wird. Dieser Artikel taucht hinter die Kulissen und gibt exklusive Einblicke in die psychologische Beratung bei Depressionen.

 

Hilfe! Was ist nur los mit mir? – Symptome einer Depression

Ich bin Instahelp Psychologin, was bedeutet, dass mich meine Klient:innen immer ein Stück weit in der Hosentasche mit sich herumtragen. Klingt komisch und du fragst dich, ob ich das wirklich will? Die Antwort ist “Ja”, denn genau da – mitten in ihrem Alltag – ist der Schmerz am größten und sie brauchen mich am dringendsten. Und so kam es auch, dass mich an einem Sonntag in der Früh folgende Nachricht erreichte:

Liebe Kerstin! Es kostet mich so viel Überwindung und Kraft, dir zu schreiben, aber ich kann einfach nicht mehr. Ich war einmal eine wirklich lustige Person, aber seit einigen Monaten fühlt es sich an, als würde mich permanent eine dunkle Wolke umgeben. Irgendwie so, als hätte ich den ganzen Tag einen Rucksack auf den Schultern, der so schwer ist, dass ich mich gerade mal so durch den Tag schleppen kann. Habe ich vielleicht eine Depression und brauche professionelle Hilfe? Ich weiß nicht, wie lange ich diese Last noch aushalte. Bitte hilf mir! Ich möchte doch einfach nur glücklich sein”

Wie schrecklich muss es sich anfühlen, über Monate hinweg von so einem Nebel umhüllt zu sein? Ich formulierte direkt eine Antwort und schlug Sarah (Name von der Red. geändert) einen Gesprächstermin für den kommenden Montag vor – ich wollte alles daran setzen, wieder ein Licht in die Dunkelheit zu bringen, die sie umgab.

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Woran erkennt man eine Depression?

Sarah hat sich dazu entschieden, die Beratung ohne Video zu nutzen, da sie sich nicht gerne zeigen wollte. In unserem ersten Kennenlernen gab ich ihr die Möglichkeit, mir alles über sich zu erzählen, was für sie wichtig war. Ich hatte das Gefühl, dass sie anfangs noch gehemmt war und nicht recht wusste, was sie sagen sollte. Je länger das Gespräch gedauert hat, desto lebendiger wurde ihre Sprache. Ich hatte den Eindruck, als würde sie endlich mal Luft ablassen und all die Dinge loswerden, die sie schon so lange beschäftigen: Sie wurde als Kind adoptiert, da ihre eigene Mutter keine Kraft für ein Baby hatte. Mit Partnern hatte sie nie viel Glück, jetzt liegt eine Scheidung hinter ihr und sie muss sich alleine um ihre 5-jährige Tochter kümmern. Freizeit gibt es so gut wie keine und die ständigen Streitigkeiten mit dem Ex-Mann haben ihr jegliche Lebensfreude geraubt. Sie nimmt die Welt durch eine graue Brille wahr und hat kein Auge mehr für das, was es in ihrem Leben trotzdem noch Schönes gibt. Also nahm ich mir vor, Sarah neue Perspektiven für ihr Leben aufzuzeigen.

Aber erstmal lag ein großes Stück Arbeit vor uns, denn ich erkannte ziemlich schnell, dass bei Sarah typische Symptome einer Depression stark ausgeprägt waren. Sie berichtete von einer starken Niedergeschlagenheit, Freudlosigkeit und einem Interessenverlust. Sie erzählte, kaum noch Kraft für ihre alltäglichen Aufgaben zu finden und soziale Kontakte weitgehend zu vermeiden. Die Welt sei ihr zu laut und zu viel und außerhalb ihrer eigenen vier Wände gäbe es keinen Ort, an dem sie sich wirklich wohl und sicher fühle. Durch diese ständige Anspannung leide sie unter chronischen Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit.

Da ich weiß, dass es auch medizinische Ursachen für all diese Symptome gibt, schlug ich vor, eine ärztliche Untersuchung zu machen, um organische Krankheiten auszuschließen. Und dann plante ich meine Reise mit Sarah – raus aus dieser Dunkelheit und hin zu einem Ort, an dem sie wieder Lebensfreude verspüren kann. Ich wollte ihr beweisen, dass es bei einer Depression Hilfe gibt!

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Psychotherapie bei Depression – Ablauf und Methoden

Nachdem Sarah alle medizinischen Fragen geklärt hatte, stand die Diagnose fest: Sie hatte eine mittelgradige depressive Episode. Als sie mir davon erzählte, hatte ich den Eindruck, ein wenig Erleichterung in ihrer Stimme wahrzunehmen und tatsächlich bestätigte sie diese Vermutung:

“Ich bin so froh, dass ich diesem Zustand endlich einen Namen geben kann und weiß, was mit mir los ist. Nun bin ich bereit, an mir zu arbeiten, auch wenn es ein harter Weg ist.”

 

Es gibt viele therapeutische Methoden, die bei einer Depression zum Einsatz kommen. In dieser Beratung waren es vor allem folgende Punkte, die einen Durchbruch ermöglicht haben:

1.) Psychoedukation: Was ist eigentlich eine Depression?
Ganz am Anfang unserer Reise stand erstmal die Frage: “Was ist denn eigentlich genau los?” Ich erklärte Sarah, wie eine Depression entsteht, welche Faktoren diese verstärken und welche Möglichkeiten der Behandlung es gibt. Schon an dieser Stelle identifizierten wir gemeinsam einige negative Denkmuster, die die Entstehung ihrer Depression begünstigen. Allen voran: “Ich habe versagt – ich bin eine schlechte Mutter.”

2.) Negative Glaubenssätze umkehren
Durch diverse therapeutische Techniken – wie beispielsweise dem Gedankenprotokoll – identifizierten wir weitere Glaubenssätze, die auf Sarah wirkten und dazu beigetragen haben, dass sie sich unzureichend und schlecht fühlte. Der permanente Stress und die Alltagslast haben zudem dazu beigetragen, eine Depression zu entwickeln. Im Gedankenprotokoll haben wir Schritt für Schritt versucht, all die negativen Glaubenssätze neu zu formulieren und zu manifestieren. Und so wurde aus “Ich habe versagt – ich bin eine schlechte Mutter” mit der Zeit “Auch wenn ich alles alleine bewältigen muss, kann ich meiner Tochter eine sichere Heimat bieten”.

3.) Entwicklung von Bewältigungsstrategien
Bei Sarah waren es aber nicht nur negative Denkmuster, sondern allen voran auch die Überforderung, die sie auf Dauer krank gemacht hat. Wir versuchten also gemeinsam herauszufinden, was denn genau die Dinge sind, die sie besonders stressen. Es ging gar nicht so sehr darum, dass sie viele Aufgaben zu erledigen hatte, sondern dass sie den Anspruch hegte, all das perfekt machen zu müssen. Sie fühlte sich von ihrem Umfeld permanent verurteilt und erlaubte sich selbst keine Fehler. Dieser enorme Druck lastete viele Jahre auf ihren Schultern und es brauchte zahlreiche Stunden, bis wir diese Erwartungen und die strenge Selbstkritik endlich lösen konnten. Erst diese Basis hat es dann erlaubt, Bewältigungsstrategien zu erarbeiten. Entspannungsübungen, regelmäßige sportliche Betätigung, das Ausprobieren neuer Hobbies – all das waren unsere Ziele und in winzig kleinen Schritten näherten wir uns diesen an.

4.) Förderung einer positiven Wahrnehmung
Sarah war so gefangen in ihrer dunklen Wolke, dass sie das Auge für das Schöne komplett verloren hat. Sie konnte nicht glauben, dass es in ihrem Leben jemals wieder etwas geben wird, das ihr Freude bereitet. Ich versuchte, mit ihr gemeinsam in die Vergangenheit zu reisen und herauszufinden, was ihr denn früher mal Freude gemacht hat. Filme sehen, wandern, Radfahren – es gab eigentlich sogar recht viel. Wir versuchten, eine dieser Tätigkeiten auszuwählen und diese wieder in ihren Alltag zu integrieren. Nach vielen “Das geht nicht… nein, das geht auch nicht… das schaffe ich nicht”, haben wir etwas gefunden, das sie bereit war, zu probieren: Ein Yoga-Kurs.

Ich war begeistert, da wir damit gleich drei wichtige Aspekte bearbeiten konnten: Soziale Kontakte, körperliche Betätigung und Entspannung. Ich zeigte Sarah, wie sie es schaffen kann, das Positive in ihrem Leben wieder wahrzunehmen, indem ich sie immer wieder ermutigte, ganz genau hinzusehen: “Ja, der Tag war schwierig – aber was war denn heute, das dir vielleicht ein wenig Freude bereitet hat?” Ich freute mich so sehr, als sie nach einigen Stunden sagte: “Heute habe ich zum ersten Mal wieder gelacht – ich war mit einer Kollegin an der Kaffeemaschine und sie erzählte mir von ihrem Kinderwunsch. Und da kam sie plötzlich, die Dankbarkeit dafür, dass ich so eine wunderbare kleine Tochter habe.” Das war für uns ein Meilenstein in der Therapie.

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Hilfe bei Depression: Was kann ich selbst tun?

Die Depression ist eine Erkrankung, die Betroffenen phasenweise die Luft zum Atmen raubt. Nicht selten geht sie mit anderen psychischen Störungen einher, allen voran Angsterkrankungen, die noch einmal zusätzlich die Lebensqualität einschränken. Hinzu kommt: Wer bereits einmal eine Depression hatte, ist umso stärker gefährdet, diese auch wieder zu entwickeln. Das vermittelte ich auch Sarah und so lag es mir gegen Ende unseres Beratungsprozesses besonders am Herzen, sie vor einem Rückfall zu schützen. Neben vielen Tipps, die man zum Umgang mit einer Depression findet, erarbeiteten wir vor allem folgende Punkte, die sie selbst berücksichtigen kann, wenn sie wieder einmal depressive Symptome bemerkt:

  1. Nimm dir Zeit zur Reflexion: Frage dich regelmäßig, wie es dir geht und welche Bedürfnisse gerade unzureichend erfüllt werden. Nur wenn du ganz genau zuhörst, kannst du auch wahrnehmen, wenn dein Körper zu dir spricht!
  2. Höre auf deinen Körper: Die Bedürfnisse wahrzunehmen ist aber nur ein Teil – mindestens genauso wichtig ist es, dem Körper auch das zu geben, was er braucht. Symptome ernst zu nehmen, Pausen einzulegen, liebevoll mit dir selbst umzugehen – das sind nur einige Beispiele, die zu einer gesunden Selbstfürsorge gehören.
  3. Gesunde Ernährung: Sorge dich um deinen Körper, indem du ihm das zuführst, was er zum Überleben braucht. Andernfalls wird er sich melden – und das ist meistens noch viel unangenehmer als bewusstes und gesundes Essverhalten.
  4. Bewege dich ausreichend: Moderate Bewegung, die zu deinem Lebensstil passt, ist eine wesentliche Säule in der Prävention von depressiven Erkrankungen. Lass dich hier jedoch nicht zu etwas drängen, das dir keinen Spaß macht! Sei offen für neue Sportarten und finde etwas, das du gut in deinen aktuellen Alltag integrieren kannst.
  5. Setze Grenzen: Wir wünschen uns, von allen geliebt und gemocht zu werden. Aber Achtung: Es ist unmöglich, dass jeder dich mag! Akzeptiere, dass dich nicht jeder Mensch lieben kann und sage klar und deutlich “Nein”, wenn jemand deine Grenzen überschreitet.
  6. Nimm Hilfe in Anspruch: Manchmal braucht es einen Blick von außen, eine starke Schulter, eine leitende Hand – einfach jemanden, der für dich da ist und dir versichert: Du bist toll! Ganz genau so wie du bist!

Sarah war 3 Monate wöchentlich bei mir in Beratung, bis wir uns dazu entschlossen haben, die Beratungsintervalle zu vergrößern. Wir hörten uns weiterhin noch einmal im Monat, später dann nur noch jährlich und jetzt sind wir in ganz offenem Kontakt und sie schreibt mir, wann immer sie ihre Gedanken mit mir teilen möchte. Dieser Erfahrungsbericht zur Depression zeigt, dass ich tatsächlich ein Stück weit in Sarahs Hosentasche dabei war – aber wenn ich aus dieser Position dazu beitragen kann, ihr ab und zu einen Blick durch die rosa Brille zu schenken, der ihr zeigt, wie wunderschön diese Welt sein kann, dann soll mir dieser Platz nur recht sein.

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Quellen:
Jacobi et al. (2016). Erratum zu: Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul „Psychische Gesundheit“ (DEGS1-MH). Nervenarzt, 87,88–90.

Erstellt am: 16. Mai 2024
Depression - Instahelp Redaktion