Schreibend neue Räume öffnen – Online-Beratung per Textchat
Onlineberatung ist ein heterogenes Konzept. Sie kann über verschiedenste Kanäle und zeitlich entweder synchron oder asynchron erfolgen. So ergeben sich auch unterschiedliche Beratungswege: vom moderierten Forum über Einzel- oder Gruppenchats, (Video-) Telefonie bis hin zum asynchronen Schreiben, also der klassischen E-Mail-Beratung.
Allen diesen Wegen ist gemein, dass sie sich des Internets als Medium behelfen, und daher eine ortsunabhängige und (in unterschiedlichen Abstufungen) anonyme Möglichkeit sind, sich mit Problemen an eine Beraterin zu wenden.
Die Vorteile der asynchronen Online-Beratung
Ich als Online-Beraterin nutze sehr gerne das asynchrone Schreiben. Briefe schreiben quasi. Geschrieben nur am Computer anstatt mit Papier und Stift. Und verschickt nicht durch die Post, sondern durchs Internet.
Denn Schreiben (wenn man’s denn mag) verbindet die Vorteile der Onlineberatung mit denen der Schreib- oder Poesietherapie:
- Schreiben und Lesen kann zeitunabhängig stattfinden. Die Klientin kann sich hinsetzen und mir schreiben, wann immer ihre Zeit, ihre Aufmerksamkeit es ermöglichen. Und ich als Beraterin genauso.
- Schreiben ist per se ein Akt des Reflektierens. Wenn die Klientin über sich und ihre Probleme schreibt, dann findet eine erste Distanzierung statt: Es gibt ein „Ich“, das über „das Problem“ schreibt.
- Schreiben heißt, die eigenen Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen. Oft wird uns erst durch’s Niederschreiben und Formulieren klar, was wir denken und fühlen.
- Schreiben beinhaltet einen gewissen Archivierungseffekt. Das geschriebene Wort wiegt mehr als das gesprochene, sich verflüchtigende. (Weshalb es für Beraterinnen oft auch umso wichtiger ist, einen Lösungsraum zu beschreiben.) Klientinnen können auf alte Texte einfach zugreifen und nachlesen, was ihnen vielleicht früher in ähnlichen Situationen eine Hilfe war.
- Während des Niederschreibens findet schon ein innerer Dialog zwischen „dem Problem“ und dem „lösungsorientierten Ich“ statt, vielleicht auch der internalisierten Beraterin.
- Geschriebene Worte vermitteln keine sozialen Codes. Ich als Beraterin weiß nicht wie meine Klientin aussieht, wie sie klingt, was sie trägt. Das kann ihr helfen sich zu öffnen und sich zu zeigen (der etwas paradoxe „Fremder im Zug“-Effekt). Und sie hat die Kontrolle darüber, was sie von sich preisgibt und was nicht. Das kann ihr dabei helfen, sich in der oft schwierigen Balance zwischen Nähe und Distanz zu üben.
Nähe trotz Distanz
In der Praxis sieht es so aus, dass ich längere Texte von KlientInnen erst mal ausdrucke. Um sie mir begreifbarer zu machen und ein Stück vom Netz in die Realität zu holen. Mit dem Stift in der Hand lese ich den Text und notiere, unterstreiche. Ich schreibe mir auf, welche Gedanken, Gefühle, Fragen mir durch den Kopf schwirren. Welche Wörter oder Satzwendungen mir „ins Auge springen“. Wo ich nachfragen möchte. Was mich überrascht oder irritiert. Manchmal gehen Antworten sehr rasch „von der Hand“, und manchmal bin ich froh über die Löschtaste auf meinem Computer.
Immer aber bin ich überrascht, wie rasch sich Nähe auch durch geschriebene Worte herstellen lässt, und in welche Lösungsräume uns das Schreiben führt …
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