Selbstwert - Sabine Otremba
6 Minuten Lesezeit

Selbstoptimierung 2.0: Wie uns Facebook, Instagram & Co. in den Wahnsinn treiben

Wer auf Facebook oder Instagram vorbeischaut, entkommt ihr nicht: der Selbstoptimierung. Wohin der Blick auch fällt – die Selbstoptimierung ist schon da und sie setzt uns ganz schön unter Druck. Es wimmelt von schönen Menschen, die in schöner Umgebung ihre schöne Partnerschaft pflegen oder ihre Karriere vorantreiben. Die Selbstoptimierung 2.0 kommt allerdings nicht mehr mit erhobenem Zeigefinger daher. Sie hat dazugelernt und sich den Social-Media-Gepflogenheiten angepasst.


Verkniffenes Perfektionsstreben (Häng dich rein und streng dich mehr an!) ist out, denn das wirkt bemüht und bemitleidenswert. Die Selbstoptimierung 2.0 hingegen scheint ein einziger großer Spaß zu sein. Sie kommt betont unangestrengt und lässig daher und flüstert uns zu: Sei du selbst, nur besser! Was das bedeutet, sehen wir tagtäglich auf Instagram & Co. , denn dort treiben scheinbar ganz normale Menschen die Selbstoptimierung lässig auf die Spitze.

Zu schön, um wahr zu sein?

Nirgendwo sonst tummeln sich so viele atemberaubend gut aussehende und vielseitig talentierte Frauen (und natürlich auch Männer) wie auf Instagram. Sie benötigen lediglich ein bisschen Schlaf und zwei Liter Wasser am Tag – vielleicht noch ein leichtes Make-up – um bezaubernd auszusehen. Sie haben einen tollen Job, zauberhafte Kinder und sie verbringen regelmäßig „Quality Time“ mit ihrem Schatz. Parallel dazu ziehen sie gerade ihren eigenen Online-Shop für Wohnaccessoires oder edle Schmuckstücke auf, weswegen sie zwecks Warenbeschaffung durch die ganze Welt reisen. Zum Sport gehen sie nicht der umwerfenden Figur wegen, sondern weil sie ihre überschüssige Energie irgendwie loswerden müssen. Und wenn dann noch ein wenig Zeit bleibt, engagieren sie sich nebenbei für irgendeine gute Sache, weil sie die Welt verbessern möchten. Klingt anstrengend? Ach was. Das täuscht. Die Meisterinnen der Selbstoptimierung und der Selbstinszenierung werden nicht müde zu betonen, dass sie ja nur das tun, wofür sie brennen – und deswegen läuft das alles quasi wie von selbst. Die unterschwellig mitschwingende Botschaft: Auch wir sollten dringend etwas finden, wofür wir brennen – dann ist die halsbrecherische Fahrt auf dem Karussell der Selbstoptimierung ein großer Spaß.

Selbstoptimierung vs. Selbstverwirklichung

Kein Wunder, dass uns normalen Beobachtern da nur vom Zuschauen die Luft ausgeht. Wir sehnen uns nach einer Auszeit, in der wir einfach nur so sein können, wie wir gerade sind. Und greifen hilfesuchend zu Wohlfühlmagazinen, die uns versprechen, den Selbstoptimierungswahn zu umschiffen. Scheinbar. Bis wir genauer hinschauen. Denn die Wohlfühlmagazine predigen selbstverständlich nicht: Werde schöner, schlauer und schlanker. Stattdessen heißt es: Sei achtsam, höre auf dein Herz, lebe deinen Traum, verwirkliche dich selbst und mach einfach mal locker. Vom Regen in die Traufe. Druck von zwei Seiten. Die eine suggeriert uns, dass wir unser Leben vergeuden, wenn wir nicht genug erreichen wollen. Und die andere, dass wir unser Leben vergeuden, wenn wir zu viel erreichen wollen. Was denn nun? Fakt ist: Nie scheinen wir gut genug zu sein. Und wenn wir nicht willens sind, unser Potenzial voll auszuschöpfen, dann haben wir vollends versagt.

Selbstoptimierung – was uns niemand verrät

Es wird zwar erstaunlich selten darüber gesprochen, aber in unseren klaren Momenten ahnen wir, dass man uns einen gewaltigen Bären aufbindet. Möglich, dass wir mittlerweile tatsächlich alles haben können, aber es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass wir alles zugleich haben werden. Oder wie es Gloria Steinem schreibt:

 

„Alles geht nicht. Kein Mensch kann zwei Vollzeitjobs machen, perfekte Kinder haben, drei Mahlzeiten am Tag kochen und bis zum Morgengrauen multiple Orgasmen haben…“ [1]

 

Shonda Rhimes (US-amerik. Drehbuchautorin und u.a. Schöpferin der Erfolgsserie “Grey’s Anatomy”) ist auf Selbstoptimierung und Scheinrealität ebenfalls schlecht zu sprechen. In ihrem Buch „Das Ja-Experiment“ gesteht Rhimes schonungslos ehrlich, dass sie ohne ihre Nanny aufgeschmissen wäre. Oder dass sie an allen Fronten gleichzeitig kämpft – vor allem gegen sich selbst und ihre Ansprüche – und dabei trotzdem stets irgendwo Abstriche machen muss.

Das Aha-Erlebnis von Shonda Rhimes

Als kleinen Aufrüttler teilt Drehbuchautorin Rhimes auch ihr haariges Aha-Erlebnis mit uns. Shonda verbrachte zu Highschool-Zeiten Stunde um Stunde vor dem Spiegel, um ihre Krause mit Lockenstab und Tonnen von Haarspray in den Look von Whitney Houston zu verwandeln. Jeden Morgen aufs Neue. Whitneys Leben schien damals perfekt zu sein und wenn Shondas Haare ebenso perfekt lägen, würde auch ihr Leben nachziehen, so ihr Gedanke. Einige Jahre später – Shonda hatte sich mittlerweile mit ihren eigenen Haaren arrangiert – erzählte sie ihrer Friseurin von ihrem Morgen-Ritual à la Whitney. Die Friseurin lachte Tränen und sagte: „Mädel, dir ist aber klar, dass Whitney damals eine Perücke trug?“ Shonda schreibt dazu:

 

„Ihre weiteren Worte drangen nicht mehr zu mir durch. Ich konnte nur noch an all die Zeit und die Liter von Haarspray denken, die ich verschwendet hatte. Ich durchlebte noch einmal den unvermeidlichen Kummer, das Gefühl, versagt zu haben, und die Unsicherheit, die ich jeden Morgen verspürt hatte, wenn mein Haar sich einfach nicht meinen Wünschen fügen wollte. Wenn ich gewusst hätte… wenn mir jemand gesagt hätte… dass mein Haar NIEMALS so aussehen würde, egal was ich tat… Wenn ich doch nur gewusst hätte, dass nicht einmal Whitneys Haar sich so legen ließ…[…] Doch ich muss zugeben, dass ich auch einen Hauch von Erleichterung verspürte. Denn nun wusste ich: Ich hatte nicht versagt. Mir hatte einfach nur die Perücke gefehlt.“ [2]

 

Und was hat Whitneys Perücke mit uns zu tun?

Ganz einfach. Lassen wir nicht zu, dass wir uns schlecht fühlen, nur weil uns die Perücke fehlt. Oder weil wir unrreichbaren Idealen hinterherrennen, die eines Tages selbst an dem zerbrechen, was sie uns vorleben. Vergegenwärtigen wir uns wieder und wieder, dass wir auf Instagram vor allem mit perfekt inszenierter Selbstinszenierung konfrontiert werden, wie die Fotoserie von Chompoo Baritone sehr schön zeigt. Und daran können auch putzige Hashtags wie #fürmehrrealitätaufinstagram oder #ohnefilter nichts ändern. Das ungefilterte und wahre Leben finden wir nicht auf Instagram oder Facebook – das sollten wir nie vergessen. Sollten wir diesbezüglich doch mal wieder ins Straucheln geraten, tun wir gut daran, keine stylishen Selbstoptimierer anzusurfen. Sondern zur Abwechslung Celeste Barber. Sie zeigt zwar auch nicht das echte Leben, führt uns aber die Absurdität der Selbstinszenierung herrlich vor Augen. Und über 4 Millionen Follower zeigen, dass sie damit einen Nerv trifft.

 

Quellen:
[1] Sheryl Sandberg: Lean In. Ullstein Verlag (2015)
[2] Shonda Rhimes: Das Ja-Experiment. Heyne Verlag, (2015)

Fotocredits: iStock.com/natalie_board

Aktualisiert am: 18. November 2019