Erfahrungsbericht: Vom Burnout, das keines war, vier Überraschungen und der online Therapeutin
Die Situation
Ich lege den Hörer auf. Der Kopf schmerzt und das Herz rast mit den Gedanken um die Wette. „Schon wieder“, denke ich. Schon wieder Ärger mit einem Kunden. Drei Tage sitze ich jetzt schon am Protokoll vom letzten Meeting und komme einfach nicht voran. Mache das Dokument auf, versuche mich zu konzentrieren und mache es wieder zu. Es geht einfach nicht und der Kunde wartet weiter. Noch ist er geduldig. Leider passiert mir so etwas in letzter Zeit häufiger. Dauernd werde ich mit irgendetwas nicht rechtzeitig fertig oder nehme es erst gar nicht in Angriff. Dabei bin ich normalerweise diejenige, die immer auf Qualität achtet. In letzter Zeit passiert es oft, dass ich am Ende in Hektik gerate und dann in der Eile Fehler mache.
Die Kolleginnen, mit denen ich mich darüber austausche, sind mitfühlend und haben gutgemeinte Ratschläge. „Mach mal ne Kur“, sagt die eine „Du bist einfach durch. Schon seit Monaten.“ Eine andere rät mir, doch mal lockerer zu werden. Bei meinem Perfektionismus müsse ich ja irgendwann durchdrehen. Eine dritte weiß schließlich, wie es am besten geht: „Also ich mache mir ja jeden Morgen einen Zeitplan,“ doziert sie, „so hat man seinen Tag im Blick und kann auch mal Aufgaben zurückweisen.“ Natürlich bleibe ich höflich und wertschätzend und bedanke mich für das Feedback. Aber in Gedanken checke ich alle drei Kolleginnen in denselben Flieger ein, den ich mir schon für den Kunden und andere Nervensägen ausgedacht hatte. Ich lege den Kopf in den Nacken, puste aus und stelle mir ein großes, kunterbuntes Flugzeug vor mit dem Ziel Südsee. An Bord alle, die mich auf die Palme bringen, der Flieger ist voll. Sie sind fröhlich unterwegs in irgendein Paradies auf Erden. Das sei ihnen auch von Herzen gegönnt. Hauptsache, sie kommen nie wieder. Jetzt fühle ich mich ein kleines bisschen besser.
Abends zuhause, das typische Szenario der letzten Wochen: Glas Wein, Computer an, verzweifelter Versuch, wieder etwas aufzuholen. Da wollte doch ein Unternehmerverein ein neues Seminarkonzept. Ich könnte gut daran verdienen. Aber es ist mal wieder ergebnislose Quälerei. „Du hast ein Burnout“, denke ich mir und google das hundertsiebzigste Mal, was das eigentlich genau ist. Ich informiere mich über Entspannung, Resilienz, Achtsamkeit und Meditation, um dann entnervt bei Netflix zu landen.
Morgens bin ich hundemüde von der langen Nacht vor dem Fernseher und der Reigen beginnt erneut.
Ich kann nicht mehr, ich brauche Hilfe.
Die Online-Beratung kommt ins Spiel
Ein Kollege hatte mir neulich gesteckt, dass er sich Hilfe bei einer psychologischen Online-Beratung geholt habe. Er und seine Freundin hatten eine schwere Krise und er konnte sich auf nichts mehr konzentrieren. Er persönlich habe die Online-Gespräche mit dem Psychologen sehr hilfreich gefunden.
Ich habe ja so meine Zweifel, dass man über ein Online-Angebot wirklich seriöse Beratung erhält, aber für einen „echten“ Therapeuten bin ich noch zu feige
Und einen Business Coach, der mir vor einigen Jahren weitergeholfen hat, kann ich mir momentan finanziell nicht leisten. Ich schleiche also ins Nachbarbüro zu meinem Kollegen. Instahelp schreibt er mir auf einen Zettel und ich kann den Feierabend kaum erwarten.
instahelp.me gebe ich abends in den Browser ein und erkenne, dass im Namen „help me“ steckt. Ich fühle mich sogleich tatsächlich etwas klein und hilflos. Aber – Überraschung: ich gelange auf eine moderne, freundliche, erfreulich un-esoterische, Seite. Clean, aufgeräumt, klar. Das gefällt mir. Alle ersten Fragen werden direkt auf den Startseiten beantwortet – was es kostet, wie es geht und so weiter. Noch traue ich mich nicht auf den Button „Psychologen finden“ oder „Beratung starten“ zu klicken. Daher schaue ich mich erst einmal ausgiebig um. Während unten in einem kleinen Chat-Fenster dezent und doch stetig ein Gespräch mit „Wir sind für Sie da“ angeboten wird, beschäftige ich mich zunächst lange mit dem Angebot, das sonst noch auf der Seite zu finden ist. Ein interessantes Online-Magazin gibt es, eine Anzahl unterschiedlicher Selbsttests zu verschiedenen Themen sowie ein psychologisches Lexikon. Unter dem Stichwort „Burnout“ lese ich dort die nunmehr hunderteinundsiebzigste, aber tatsächlich eingängigste Zusammenfassung zu dem Thema. Gleich diagnostiziere ich: Ich bin nicht etwa gefährdet. Nein, ich habe ein bereits fortgeschrittenes Burnout. Bestimmt bin ich unheilbar. Schnell mache ich auch noch einige Selbsttests, anhand derer ich nun einen Überblick über meine berufliche Belastung, meinen Ärger, meine Stresssymptome und meine Selbstwirksamkeit erhalte, um dann erleichtert festzustellen: es steht offenbar doch noch nicht hoffnungslos um mich. Klar ist aber, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt. Dem möchte ich auf den Grund gehen.
Es wird ernst
„Guten Tag, meine Name ist Simone“, werde ich im Chat begrüßt. Simone ist ein so genannter Instahelp-Coach und führt mit mir das Erstgespräch, erklärt sie. Auf Grundlage dieses Gesprächs werde sie mir dann einen Psychologen empfehlen. Zunächst fragt sie mich, worüber ich gern reden möchte. Ich schreibe von meiner Aufschieberitis, meinem Ärger auf Kunden und Kollegen und die halbe Welt und von der Ideenlosigkeit, was den Unternehmerverein angeht. Und dass ich befürchte, an einem Burnout erkrankt zu sein. „Verstehe“, meint Simone ein paarmal. Mehrmals hakt sie noch nach und lässt sich Dinge genauer erklären, etwa warum ich geschrieben habe, dass sich dieses Aufschieben anders anfühlt als das, was ich sonst schon mal aus Faulheit gemacht habe. Auch fragt sie, ob ich bereits Erfahrung mit psychologischer Beratung habe, seit wann ich meine Veränderungen wahrnehme und ob ich Medikamente einnehme. Ich merke: Da ist jemand auf klärende Fragen geschult.
Ich fühle mich angenommen und habe auch ein unerwartet gutes Gefühl beim anonymen Chatten.
So anonym ist es ja auch gar nicht, denn ich zumindest weiß, mit wem ich es zu tun habe. Nur Simone weiß tatsächlich nicht, wer ich bin. „Möchten Sie über all dies mit einem unserer Psychologen reden?“ fragt sie schließlich. Ich bejahe. Sie erklärt mir die Bezahlmodelle. Es gibt drei Varianten, wovon ich die mittlere wähle. Der Psychologe beantwortet hierbei bis zu viermal pro Woche meine Fragen im Textchat und nimmt sich einmal 40 Minuten Zeit für einen Live-Chat. Der ginge auch über Video, aber ich verzichte zunächst darauf. Schreiben reicht mir im Moment.
„Ich habe einen Psychologen für Sie ausgewählt“, schreibt Simone und auf meinem Bildschirm erscheint das Foto eines jungen Mannes, garniert mit ein paar persönlichen Worten. Ob ich mir vorstellen könnte, meine Probleme mit ihm zu bereden, werde ich gefragt. Ich zögere, er erscheint mir doch sehr jung… Aber kein Problem – ich bekomme prompt eine Alternative. Jetzt erscheint das Foto einer Psychologin, die freundlich und keck in die Kamera lächelt. Ich kann mich mit einem guten Bauchgefühl schnell für sie entscheiden.
„Prima“, sagt Simone, „dann wird die Psychologin sich in Kürze bei Ihnen melden. Ich verabschiede mich jetzt und wünsche Ihnen gutes Gelingen und alles Gute.“ Ich bedanke mich bei Simone, die einen prima Eindruck bei mir hinterlassen hat. Ich bin gespannt, ob das mit der Psychologin nun so weiter geht.
Eine Dreiviertelstunde vergeht, dann tut sich etwas in meinem privaten Chatraum, der nun für mich unter dem Namen meiner Psychologin eingerichtet wurde. „Hallo Karibikflieger“ schreibt sie, das ist der Nickname, den ich mir für die anonymen Sitzungen bei der psychologischen Online-Beratung ausgedacht hatte. Jetzt kommt er mir albern vor. „Mein Name ist Antonia und es tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten, normalerweise bin ich schneller.“ Ich bin schon wieder überrascht. Ich habe doch nicht lange gewartet. „Ich heiße Lisa“ schreibe ich. Hoppla. Es wird offenbar ernst.
Diva, Heilige und Saukerle – es geht ans Eingemachte
„Ein schöner Name, Lisa, wobei mir der Karibikflieger auch sehr gut gefiel“, antwortet Antonia, die außer meinem Vornamen nichts über mich weiß und für die nächste Zeit meine Therapeutin sein wird. „Im Einführungsgespräch schrieben Sie, dass Sie sich sorgen, eine Burnout-Kandidatin zu sein. Haben Sie in unserem Lexikon einmal die Kriterien hierfür nachgelesen?“ fragt sie und schickt mir den Link, den ich bereits kenne. Wir tauschen noch ein paar kurze Worte aus und verabreden dann ein Live-Gespräch als ersten Schritt. Zwei Tage später, zu einer mir sehr entgegenkommenden Stunde: 21.15 Uhr. Die Dame arbeitet sehr lange. Das nenne ich mal arbeitnehmerfreundlich. Noch eine Überraschung.
Vor der ersten Sitzung bin ich nervös und schon einige Minuten früher als vereinbart im Chatraum.
Wir schreiben dann auch erst einmal locker hin und her, meine Psychologin (hach, wie leicht mir das über die Tasten geht) stellt sich sofort auf meinen flapsigen Ton ein. Sie hat Humor und Sprachgefühl, ich freue mich. Und sie kann deutlich werden. Aber der Reihe nach. Ich schildere noch einmal meine Verzögerungs-Auffälligkeiten und Motivationsprobleme beim Bearbeiten meines Reports, der leider immer noch auf Vollendung wartet. „Sie haben sich geärgert“, stellt Antonia fest. Stimmt. Was beim Termin passiert sei, will sie wissen. Ich beschreibe, wie der Geschäftsführer des Unternehmens, das wir betreuen, mehrfach raus gelaufen ist und mein Kollege immer wieder seine Präsentation, in die wir gemeinsam Stunden investiert hatten, unterbrechen musste. Schon diese eine Frage bewirkt Erstaunliches, denn plötzlich fallen mir tatsächlich noch weitere Begebenheiten ein, die eine Aufschieberitis meinerseits zur Folge hatten. Immer hatte ich mich über etwas geärgert. Auch bei den Herren vom Unternehmerverein, die mir zu arrogant erschienen oder bei den Kolleginnen, deren Ratschläge mir zu weit gingen. Herrje, ich bin aber auch eine empfindliche Seele und schnell beleidigte Leberwurst. Den Gedanken schreibe ich auch prompt in den Chat. Meine Reaktion spräche ja Bände und wie lieb ich mich denn eigentlich selbst hätte, antwortet Antonia. Und ich dürfe mich doch wohl bitteschön ärgern. Mein gesundes (!) Ego könne das im Gegensatz zu mir offensichtlich gut und würde mit Verweigerung reagieren. Es geht um meine inneren Überzeugungen und Werte, die durch das Verhalten anderer manchmal verletzt würden, lerne ich. Ich bleibe nachdenklich, positiv nachdenklich, zurück.
Freundlich fördert Antonia in der nächsten Sitzung mein komplexes inneres Wertesystem zutage, das offenbar in den letzten Monaten einen starken eigenen Willen entwickelt hat. „Miss Correctness“ nennt sie mich zwischendurch. Ich versuche abzuwiegeln, ich sei doch überhaupt gar nicht immer so korrekt. Aber Ablenkungsmanöver kommen nicht an:
Die Frau am anderen Computer schafft es beharrlich und mit einer Prise Humor den Finger in der Wunde zu halten.
Und so werfen wir auch noch einen Blick auf mein inneres Team: die Diva, den inneren Kritiker, die Punkerin und alle anderen, die mit in meinem Lebens-Boot sitzen. Besonders der Kritiker bekommt bei ihr sein Fett weg. Aber es kommt wieder etwas in Bewegung in mir. Davon berichte ich ihr in der nächsten Sitzung. Inzwischen habe ich bereits das Protokoll an die Kollegin mit dem Zeitplan weiter gegeben und dem Unternehmerverein abgesagt. Antonia lobt mich dafür. Sie bearbeitet positive Selbst-Affirmationen mit mir und ich verspreche, sie anzuwenden.
Fazit
Es stellen sich wirklich Veränderungen durch meine Online-Sitzungen ein. Ich beobachte, reflektiere und verstehe mich immer besser. Es ist kein Burnout. Viel Stress, das schon und diverse Herausforderungen, aber kein echtes Burnout. Sich ärgern dürfen (müssen), sich nicht selbst für empfundenen Ärger bestrafen wollen, zu den eigenen Werten zu stehen und Respekt und Wertschätzung einzufordern, selbst-bewusst zu sein – darum scheint es zu gehen. Das klingt alles einfach und schwer zugleich. Ich habe schon nach wenigen Gesprächen mit der Psychologin das bedrückende wie befreiende Gefühl, ein dickes Fass aufgemacht zu haben. Es wird ein längerer Weg zum Ziel. Aber: Ich bin zum vierten Mal überrascht. Nämlich darüber, wie gut und wie schnell die Online-Kommunikation mit einem Psychologen funktionieren und fruchten kann. Zumindest bei einer Problemlage wie meiner. Wer tatsächlich in einem fortgeschrittenen Stadium eines Burnouts ist oder eine Depression hat, der sollte wohl lieber den klassischen Weg zum niedergelassenen Therapeuten gehen. Das empfiehlt übrigens auch Instahelp selbst, das sich als Ersthilfe versteht, nicht als Therapieersatz. Ich jedenfalls, als doch nicht unheilbarer Fall, werde den Online-Psychologie-Sitzungen noch eine Weile die Treue halten. Der Preis ist fair, die Leistung professionell. Und übermorgen bleibt am Abend Netflix aus. Da schalte ich Antonia an… ich freu mich schon.
Dieser Artikel wurde von einer anonymen Instahelp Nutzerin zur Verfügung gestellt (der Name wurde von der Redaktion geändert). Der Erfahrungsbericht zur Online Therapie erschien ursprünglich in der Print-Ausgabe des Frauenmagazins “Emotion” (Ausgabe 07 – 2017, S. 65-67).