Selbstwert - Sabine Otremba
11 Minuten Lesezeit

Social Media – schlecht für unsere Psyche?

Eine provokante Überschrift, aber nicht ganz von der Hand zu weisen? Social Media soll nicht verteufelt werden, denn die sozialen Netzwerke sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Dennoch ist nicht alles Gold, was glänzt. „Die Teilnahme in sozialen Netzwerken wie Facebook kann bei den Nutzern starke negative Emotionen hervorrufen und die Lebenszufriedenheit beeinträchtigen.“ So eine Studie der HU Berlin und der TU Darmstadt. [1] Auch die Bildgewalt von Instagram geht laut einer Studie der britischen Royal Society for Public Health (RSPH) nicht spurlos an uns vorbei. “Instagram ist das soziale Netzwerk, das sich am negativsten auf Wohlbefinden und psychische Gesundheit der Nutzer auswirkt.” [2] Social Media kann also zur Belastung für die Psyche werden.

Warum ist das so und was können wir dagegen tun? Oder eher: Können wir überhaupt etwas dagegen tun? Wir haben mit Instahelp Psychologin Melanie Gramer darüber gesprochen.

Warum lassen wir uns von der Scheinrealität auf Social Media so an der Nase herumführen?

Immer wieder lesen wir vom Blogger-Burnout oder von Influencern, die den Druck der perfekten Selbstinszenierung nicht mehr aushalten. Bekanntestes Beispiel ist vielleicht Essena O’Neill. Die ehemalige Influencerin berichtete u.a., dass sie für ihre vermeintlichen Instagram-Schnappschüsse bis zu 100 Anläufe benötigte, ehe das perfekte Bild im Kasten war. Diese Vorgehensweise ist eher die Regel, denn die Ausnahme, wie die Fotografin Chompoo Baritone in einer Fotoserie zeigt.[3]Wir wissen also, dass man uns in den sozialen Netzwerken oft eine perfekte Show vorspielt. Und trotzdem prallen diese Social-Media-Inszenierungen nicht einfach an uns ab. Warum nicht und was können wir dagegen tun?

Melanie Gramer: Das Problem ist, dass wir diesen mentalen Abgleich nicht verhindern können. Wir sehen ein perfekt inszeniertes Bild und wissen nichts über die persönlichen Konflikte oder Probleme dieser Person. Der perfekte Eindruck stellt das einzige Merkmal dar, das wir sehen, weshalb unser Gehirn die restlichen Bereiche dieser Person als ebenso perfekt einstuft. Im Fall von Essena O`Neill, die ihre ganz persönliche Geschichte öffentlich gemacht hat, korrigiert sich unser Eindruck. Das sind aber bisher nur vereinzelte Fälle. Die Mehrheit der “Blogger” oder “Influencer” versucht, den Eindruck des “perfekten Selbst” weiterhin aufrecht zu erhalten und sie sind sehr erfolgreich. Das liegt auch daran, dass wir schließlich daran glauben wollen, dass man glücklich und erfolgreich sein kann und man nur das Geheimrezept dafür kennen muss.

Sicher ist ein glückliches und erfülltes Leben auch in der Realität möglich, nur der Weg dorthin, der hat meistens eben nichts damit zu tun, welche Kleidung oder welches Make-up man trägt, oder wie viele “Follower” man hat. Hier entsteht die Verwirrung. Das wahre Glück hat nämlich vielmehr damit zu tun, dass wir akzeptieren, dass die Dinge nie perfekt sind und dass nicht immer alles unseren Vorstellungen entspricht. Wenn wir lernen diese Dinge nicht mehr abzulehnen, sondern als natürliche Tatsachen zu betrachten, die in ihrer nicht perfekten Form trotzdem “perfekt” sind, egal ob das unser Aussehen ist oder unsere berufliche Karriere, unser Essverhalten oder unsere Beziehungen, dann entsteht eine Gelassenheit und ein Selbstbewusstsein, das nicht mehr abhängig ist vom äußeren Vergleich und das wahren Erfolg und Glück erschaffen kann. Dann schreiben wir unsere eigene Lebensgeschichte, die vielleicht nicht so perfekt aber dafür “echt” ist.

Ist das Leben der Anderen wirklich so viel aufregender?

Social Media gaukelt uns ein Leben in noch nie dagewesener Intensität vor. Lauwarm oder gewöhnlich gibt es nicht, stattdessen wimmelt es von Superlativen. Was natürlich auch daran liegt, dass uns nur ausgewählte Häppchen präsentiert werden. Der Soziologe Hartmut Rosa sagt, dass wir uns aufgrund der neuen Medien angewöhnt haben, die Welt nach immer interessanteren Optionen zu scannen. [4] Wir sind also Options-Scanner die sich durch eine glitzernde Social-Media-Scheinwelt klicken. Wie wirkt sich das auf unser Offline-Leben aus?

Melanie Gramer: Das Leben in unserer modernen Gesellschaft ist geprägt von einer sozialen und persönlichen Freiheit, die nie zuvor so existiert hat. Wir haben alle Wahlmöglichkeiten und müssen dadurch konstant Entscheidungen treffen. Während früher die Lebensstruktur und die Rollen klar vorgegeben waren, schwimmt man heute in einem Meer von Möglichkeiten. Das ist eine große Chance, bringt aber auch sehr viel Eigenverantwortung mit sich. Damit einher geht der Verlust von Sicherheit und Zugehörigkeit und die Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Die große Frage: “Wie werde ich glücklich?” steht im Raum und die sozialen Medien zeigen uns Menschen, die es “angeblich” geschafft haben. Da ist es nur natürlich, dass viele Menschen und vor allem Jugendliche versuchen sich an diesen Personen orientieren. Sie imitieren Modetrends, Sprache und sogar das Verhalten dieser “online Stars”.

Auf der Suche nach sich selbst, kann man sich leicht in Oberflächlichkeiten verlieren und die sozialen Medien verstärken diese Tendenz. Wenn man eine Online-Identität von sich selbst erschaffen hat, ist man außerdem dazu gezwungen, dieses Image durch Fotos oder Beiträge zu bedienen. Das wiederum führt zur Suche nach Bestätigung durch “Likes” oder Kommentare etc.. Umso mehr “Likes” man bekommt, desto besser fühlt man sich und wenn sie nicht oder nicht mehr da sind, kann das starke negative Emotionen auslösen, die zu einem geringen Selbstwert beitragen. Die Online-Aktivitäten nehmen so immer mehr Zeit in Anspruch, die dann nicht mehr für die “Offline-Welt” zur Verfügung steht. Dadurch werden eventuell Beziehungen in der realen Welt vernachlässigt. Je nach Ausmaß kann sogar eine Internetsucht entstehen, bei der die Gedanken der Betroffenen fast konstant auf die Online-Aktivitäten ausgerichtet sind.

Warum können wir nicht einfach aufhören, uns mit anderen zu vergleichen?

Wir wissen, dass Vergleiche Gift sind. Je mehr wir uns mit anderen vergleichen, desto unzufriedener und unglücklicher werden wir. Kein Wunder, denn es gibt immer Menschen, die in puncto Karriere, Geld, Beziehung oder Erziehung die Nase vorn haben. Nun sind Vergleiche vielleicht kein Thema, wenn wir auf einer einsamen Insel leben. Doch sobald es uns in die Social-Media-Welt verschlägt, ist all die Theorie für die Katz. Wie schaffen wir es, weniger Vergleiche anzustellen – auch und gerade in den sozialen Netzwerken?

Melanie Gramer: Vergleiche stellen wir an, solange wir denken, dass unser Selbstwert davon abhängt, was wir tun oder was wir haben. Wenn wir beginnen zu verstehen, dass das wahre Selbstbewusstsein nur davon abhängt, wer wir sind und wir uns selbst wirklich kennen und verstehen und dadurch auch akzeptieren, hören wir auf, uns mit anderen zu vergleichen. Wir erkennen, dass jeder einzigartig ist und dass man sich immer nur mit sich selbst vergleichen kann. Dann suchen wir auch nicht mehr nach Vorbildern, denen wir nacheifern, denn wir wollen niemand anderes sein, als die Person, die wir sind. Wir nutzen Vorbilder dann, um uns besser kennenzulernen, um zu sehen, in welche Richtung wir uns bewegen wollen, um das dann aber auf unser ganz eigene Art und Weise umzusetzen.

Wir haben leider nicht gelernt unseren Selbstwert so zu definieren. Deshalb vergleichen wir uns konstant und definieren unseren uns aufgrund der Ergebnisse dieser Vergleiche. Diese Vergleiche finden auch im realen Leben statt, sind aber natürlich in den sozialen Netzwerken extrem, weil wir mit einer sehr großen Anzahl an Menschen konfrontiert werden, die alle ein “positives” Bild von sich darstellen. Wenn man den Konsum sozialer Medien nicht reduzieren möchte, ist es entscheidend am eigenen Selbstwert zu arbeiten und ein vielseitiges Leben zu gestalten, sodass die eigene Definition und der Selbstwert nicht einzig und allein aus den Vergleichssituationen der sozialen Medien hervorgeht.

Was bringt Digital Detox?

Je mehr Social Media zum Thema wird, desto öfter ertönt der Ruf nach Digital Detox. Ist Digital Detox nur ein Tropfen auf den heißen Stein oder tatsächlich eine Lösung?

Melanie Gramer: Sich eine Zeit lang aus den sozialen Medien zurückzuziehen kann sehr sinnvoll sein. Es gibt mehr Zeit für reale Treffen mit Freunden oder andere Hobbies. Denn letztendlich wollen wir alle sozial, sportlich, beruflich erfolgreich etc. sein. Umso mehr Zeit man mit den sozialen Medien verbringt, desto weniger kann man in sein eigenes Wohlbefinden und in seine Karriere und Freizeit investieren und desto negativer Fallen die Vergleiche aus. Ein gutes Gleichgewicht ist wichtig.

Was können Eltern ihren Kindern für den Umgang mit Social Media mitgeben?

Die Heranwachsenden sind auf Social Media einem Dauerfeuerwerk der Selbstoptimierung und der Scheinrealität ausgesetzt, das (s. Studien) nicht spurlos an ihnen vorbeigeht. Was können Eltern tun? Verbote sind selten eine Lösung. Und der Rat, alles zu kontrollieren, was die Kinder online „treiben“, ist ein bisschen realitätsfremd. Was würden Sie Ihren Kindern raten?

Melanie Gramer: Ich würde meinen Kindern erklären, dass sie im Internet und in den sozialen Medien wertvolle Informationen und Tipps finden können und das es hervorragende Werkzeuge sind, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, sich auszutauschen oder sich mitzuteilen. Ich würde ihnen aber zusätzlich aufzeigen, dass jeder Mensch seine eigenen Talente hat und dass sie einzigartig sind, dass das was sie in den sozialen Medien sehen immer nur ein Ausschnitt der Realität ist oder manchmal sogar fern ab aller Realität bestimmte Absichten verfolgt (Werbung etc.) und dass sie aufgrund dessen diese Inhalte kritisch betrachten sollten. Außerdem würde ich ihnen erklären, dass es wichtig ist, die tägliche Zeit im Internet zu begrenzen, damit genug Zeit für andere Aktivitäten bleibt.

6. Ist Social Media eine „Belastung für die Psyche“?

Was halten Sie davon, Social Media allgemein sowie Instagram und Facebook speziell als “Belastung für die Psyche” zu bezeichnen?

Melanie Gramer: Ich denke es ist schwierig zu generalisieren und man sollte dabei immer berücksichtigen, warum und in welchem Ausmaß jemand soziale Medien nutzt. Es gibt immer Nutzer bei denen die Selbstdarstellung im Vordergrund steht, während andere das Netzwerk eher als sozialen Austausch von Meinungen und Kontakten betrachten. Instagram sowohl als Facebook können beide Funktionen erfüllen, während allerdings bei Facebook die Kommunikation von entscheidender Bedeutung ist, steht bei Instagram klar der visuelle Inhalt im Vordergrund. Desto visueller ein Inhalt ist, desto wahrscheinlicher ist eine emotionale Wirkung auf den Beobachter. Ein Text macht eine klare Aussage aber ein Bild muss immer interpretiert werden.

Unser Verstand interpretiert das Gesehene und es wird je nach sozialem Umfeld, Kultur, persönlicher Erfahrung und Lebenssituation gefiltert und mit der eigenen Situation verglichen. In unserer Kultur ist zum Beispiel gutes Aussehen mit Erfolg und Status assoziiert. Das heißt, wenn ich eine junge, gutaussehende, lachende Frau sehe, dann sagt mir mein Gehirn, dass sie auch erfolgreich ist und Geld hat etc.. Da viele Menschen nach diesen Eigenschaften streben, entsteht der Wunsch so sein zu wollen und der Verstand führt daraufhin einen Abgleich durch. Da wir uns von den “perfekten” Bildern täuschen lasse und unsere Interpretation, egal ob von fremden oder uns persönlich bekannten Personen zum Großteil selbsterschlossen ist, fällt der Vergleich mit unserem Selbst oder unserem Leben sehr negativ aus und triggert Gedanken, wie: “Ich bin nicht schön genug”, “Ich bin nicht ausreichend erfolgreich”, “Ich bin nicht dünn genug” etc.

Die Gedanken und Gefühle sind individuell verschieden und reflektieren normalerweise einen geringen Selbstwert in dem Bereich, der uns persönlich wichtig erscheint. Um diese Gedanken nicht hervorzurufen, haben wir eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder wir vermeiden soziale Medien oder generell Medien, was in unserer heutigen Zeit fast unmöglich erscheint oder wir verbessern unsere Selbstakzeptanz. Das heißt, wir arbeiten an unserem Bild von uns selbst und lernen uns so zu lieben, wie wir sind. Dabei kann oftmals die Hilfe eines Experten von entscheidender Bedeutung sein.

 

Fotocredits: iStock/syther5

Quellen:
[1] HU Berlin, https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/archiv/nr1301/pm_130121_00 (08.08.18)
[2] Royal Society For Public Health: https://www.rsph.org.uk/about-us/news/instagram-ranked-worst-for-young-people-s-mental-health.html (08.08.18)
[3] Independent.co.uk: Photographer zooms out to show the falsity of Instagram photos (09.08.18)
[4] Welt.de https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article153977398/Wir-steuern-auf-ein-kollektives-Burn-out-zu.html (08.08.18)

 

Aktualisiert am: 27. Juli 2022