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Das unsichtbare Gewicht: Wie ich Mental Load erkannt und verändert habe

Stell dir vor, du trägst einen unsichtbaren Rucksack, der mit jeder Aufgabe, die du übernimmst, schwerer wird. Die Träger schneiden in deine Schultern und das Gewicht zieht dich immer weiter nach unten. Am liebsten würdest du die Last teilen – aber niemand kann den Rucksack sehen! Einfach mal absetzen? Unmöglich, denn die Aufgaben darin würden sonst unerledigt bleiben. Wenn dir dieses Gefühl vertraut ist, dann weißt du genau, was “Mental Load” bedeutet.

In diesem Artikel nehme ich dich mit in meinen Alltag als Psychologin und dreifache Mama – ein Leben, das kunterbunt, aber oft auch chaotisch und manchmal sogar überwältigend sein kann. Mental Load – das unsichtbare Gewicht meiner unzähligen Aufgaben – begleitet mich dabei täglich. Ich erzähle schonungslos und ehrlich, wie sich dieser Druck auf mich auswirkt und welche Strategien mir helfen, die Last zu reduzieren. Hier erfährst du, wie auch du deinen Rucksack leichter machen kannst.

 

So fühlt sich Mental Load an

Es ist Sonntag, 19:30: Ich spiele mit meinen Kindern “Mensch ärgere dich nicht”, als meine älteste Tochter Maja plötzlich fragt: “Hast du eigentlich die Stifte gekauft, die ich morgen brauche?” Mein Herz beginnt zu rasen und mir fällt ein, dass ich nicht nur die Stifte, sondern auch die Snacks für den morgigen Schultag vergessen habe. Schnell wird das Spiel unterbrochen, hektisches Treiben entsteht.
Die Kinder – 2, 8 und 10 Jahre alt – wollen alle gleichzeitig meine Hilfe, um sich fürs Bett fertig zu machen. Während ich Brote schmiere und Cornflakes richte, wird das Duschen zur kurzen Krise: “Es gibt nicht genug Duschgel!” Tränen müssen getrocknet werden, weil der Lieblings-Pyjama noch nicht gewaschen ist. Geschichten werden vorgelesen, Küsse verteilt und dann kehrt endlich Ruhe ein.

Ich gehe zurück ins Wohnzimmer und sehne mich nach der Couch. Doch zwischen den Stofftieren und Spielfiguren finde ich weder Platz noch die Zeit, mich auszuruhen. Während ich die Spülmaschine einräume, stecke ich mir schnell die Reste des Abendessens in den Mund. Dann noch “schnell” ein wenig Ordnung machen und die Waschmaschine inklusive Trockner für den nächsten Tag programmieren, damit das Lieblings-Outfit gesichert ist.

Um 21:30 falle ich vollkommen erschöpft ins Bett. Doch meine Gedanken kommen einfach nicht zur Ruhe: Habe ich alles für die kommende Woche vorbereitet? Wer wird auf die Kinder aufpassen, wenn ich zur Arbeit muss? Wann muss ich Maja zur Geburtstagsparty bringen und wie soll ich es schaffen, davor noch ein Geschenk zu besorgen? Ich will gerade meinen Mann bitten, den Wocheneinkauf zu erledigen, als ich neben mir ein tiefes Atmen wahrnehme. Natürlich – Er ist eingeschlafen.

Und weil ich diesen Groll, der sich da in mir aufbaut, überhaupt nicht spüren will, weil ich endlich mal wieder entspannt im Bett liegen möchte und ich diesen schweren Rucksack einfach nicht länger tragen kann, ohne darunter zusammenzubrechen, beschließe ich: ”Ich will raus aus der Mental Load Falle.”

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Betrifft Mental Load nur Frauen?

Wenn wir überfordert sind, tendieren wir oft dazu, schnell einen Schuldigen zu suchen, um unserem Frust Raum zu verschaffen. Wer würde sich dafür besser eignen als der eigene Mann, der selig schläft, während sich mein Gedankenkarussell immer schneller dreht? Bevor ich dem Impuls nachgebe, ihm einen heimlichen Stups zu verpassen, stelle ich mir die Frage: “Ist es wirklich seine Schuld, dass ich so überfordert bin? Und was bringt es, jetzt auch noch auf ihn wütend zu sein?”

Als Psychologin weiß ich: Mental Load ist ein Phänomen, das oft mit Frauen assoziiert wird – doch die Schuld dafür auf alle Männer zu schieben, wäre zu einfach.

Mental Load entsteht durch das ständige Jonglieren mit Aufgaben, Verantwortungen und Erwartungen, die häufig unsichtbar bleiben.

 

Die Verteilung dieser Verantwortungen ist in vielen Haushalten nach wie vor unausgewogen. In aktuellen Studien wird deutlich, dass Frauen auch heute noch den Großteil der unbezahlten Haus- und Pflegearbeit übernehmen (1)(2). Doch das bedeutet nicht, dass Männer in ihrer Rolle vollkommen unbelastet sind.

Viele Männer stehen im Familienalltag vor der Herausforderung, Verantwortung, Sicherheit und das Bedürfnis, ein fürsorglicher Vater zu sein, unter einen Hut zu bringen. Auch sie möchten alte Rollenbilder hinter sich lassen und aktiv an der Erziehung ihrer Kinder mitwirken. Sie streben danach, moderne Väter zu sein, die präsent sind und die emotionalen sowie organisatorischen Aufgaben gleichwertig teilen. Doch genau dieser Anspruch – der Spagat zwischen dem Wunsch nach Familie und der Sehnsucht nach Karriere – kann enormen Stress erzeugen.

Mental Load ist also nicht nur eine weibliche Erfahrung. Es ist ein gemeinsames Thema, das beide Geschlechter betrifft. Die Lösung kann nur gefunden werden, wenn beide Seiten gemeinsam an einer Strategie arbeiten.

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Psychische Auswirkungen von Mental Load

Ich war immer stolz auf meine Fähigkeit, alles gleichzeitig machen zu können. Mit dem Baby auf dem Arm saß ich am Laptop und habe gearbeitet, während im Hintergrund der Suppentopf gedampft und Peppa Wutz meine Kinder unterhalten hat. Ich redete mir ein, ein Multitasking-Wunder zu sein und fand es sogar witzig, wenn der Alltag im kunterbunten Chaos versank. Bis mein Körper eines Tages die Notbremse gezogen und mich in die Knie gezwungen hat.

Immer funktionieren funktioniert nicht

Meine To-Do-Liste war so überwältigend, dass ich es keine Sekunde des Tages geschafft habe, zur Ruhe zu kommen. Ständig fühlte ich mich gehetzt und hatte immer die Angst im Nacken, etwas Wichtiges zu vergessen. Ich fühlte mich wie in einem Dauerlauf, bei dem ich einfach nie das Ziel erreichte. Die Erinnerung an die Gelassenheit, die ich einst gefühlt und gelebt habe, löste eine tiefe Traurigkeit in mir aus. Der Stress, die Angst, die Trauer – all diese Emotionen waren teilweise so überwältigend, dass ich irgendwann gar nichts mehr fühlen konnte. Als Psychologin wusste ich, dass ich diese Symptome nicht ignorieren durfte, wenn ich den Boden nicht komplett verlieren wollte. Daher beobachtete ich mich selbst und bemerkte einige Warnsignale, die deutlich machten, dass es so nicht weitergehen kann:

1. Emotionale Erschöpfung

In besonders belastenden, schwer auszuhaltenden Situationen kann es dazu kommen, dass uns das Gehirn vor unseren eigenen Emotionen schützen möchte. Dies kann zur Folge haben, dass wir uns emotional abgestumpft, leer und teilnahmslos fühlen.

2. Schlafstörungen

Wenn wir ständig getrieben sind und uns nie eine Pause gönnen, kann unser Gehirn abends nicht zur Ruhe kommen. Während der Körper vollkommen erschöpft ins Bett fällt, drehen sich die Gedanken unaufhörlich im Kreis. Dies kann zu Ein- oder Durchschlafstörungen führen.

3. Körperliche Beschwerden

Chronische Stressbelastung wirkt sich direkt auf unseren Körper aus: Stresshormone werden nicht abgebaut und können langfristige Schäden verursachen. Verspannungen, Kopfschmerzen oder Verdauungsprobleme sind häufige Probleme, die in diesem Zusammenhang auftreten. Wir spüren: Ich kann nicht mehr!

4. Psychische Erkrankungen

Studien zeigen, dass chronischer Mental Load das Risiko für Angstzustände und Depressionen erhöhen kann. (3) Wir spüren das, indem wir die Freude an Dingen verlieren, die uns einst glücklich gemacht haben. Antriebslosigkeit, Gereiztheit oder Panikattacken sind weitere Anzeichen für die Entwicklung einer psychischen Erkrankung.

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Strategien zur Reduzierung von Mental Load

Ich erinnerte mich immer wieder daran, dass ich als Psychologin eigentlich genau wissen sollte, was es braucht, um mehr Lebensfreude zu gewinnen. Aber irgendwie konnte ich auf mein Wissen nicht zurückgreifen. Und so beschloss ich, eine Kollegin um Hilfe zu fragen. Die Vorstellung, mir jetzt eine passende Psychologin suchen zu müssen, dort anzurufen und auf einen Platz zu hoffen, ließ mich innerlich erschauern. Da fiel mir ein, dass unser Unternehmen die psychologische Beratung bei Instahelp für uns übernimmt. Und so startete ich ein spannendes Experiment, in dem ich die Seiten wechselte und selbst auf die “therapeutische Couch” gelegt wurde. Neben den entlastenden Gesprächen erarbeitete ich mit meiner Psychologin zahlreiche Strategien, um meine Dauerbelastung zu reduzieren:

Mental Load sichtbar machen

Anstatt meinem Mann Vorwürfe zu machen, wieso er Abends vor mir einschläft und nicht weiß, was in mir vorgeht, habe ich meiner To-Do-Liste endlich Raum verschafft. Ich habe alles auf einen großen Zettel geschrieben, was von mir erledigt werden muss – allein dieser Prozess war eine riesengroße Erleichterung. Sowohl mein Mann als auch ich selbst waren beeindruckt, schockiert und gleichzeitig sprachlos, welche Last tagtäglich auf meinen Schultern lag.

Die Familie als Team

Wir strukturierten all diese Aufgaben und verteilten sie auf sämtliche Familienmitglieder – auch die Kinder. Wer kann was besonders gut? Welche Aufgaben möchte man gerne machen und was gibt man lieber ab? So erarbeiteten wir einen Plan mit Zuständigkeiten und ich erlebte erstmals, wie das Gewicht in meinem Rucksack weniger wurde.

Die Partnerschaft stärken

Mental Load führt oft zu Beziehungskrisen, weil sich eine Person unfair behandelt fühlt. Gleichzeitig ist eine gesunde Partnerschaft aber eine der wichtigsten Ressourcen im Leben, weshalb es wichtig ist, diese zu stärken. Ich wollte das Bewusstsein schaffen, mit meinem Mann an einem Strang zu ziehen und ihn nicht länger als Gegner sehen. Wir haben fixe Zeiten eingeplant, die nur uns beiden als Paar gehören soll und wo wir unsere Elternrolle verlassen dürfen.

Die Identität bewahren

Ich wusste aber, dass ich nicht nur “Mama” und “Ehefrau”, sondern auch “Kerstin” sein möchte. Einfach ich selbst mit all den Interessen, Wünschen und Bedürfnissen, die zu mir gehören. Mein Mann schenkt mir daher einen Tag im Monat, der nur mir gehört und an dem er sich um alles kümmert, was zu Hause anfällt. Dieser “Selfcare-Day” gibt mir so viel Kraft, dass ich an vielen anderen Tagen wieder das Multitasking-Wunder sein kann, das mein Familienleben manchmal einfach fordert.

Den Gefühlen Raum geben

Familienmanagement ist anstrengend, das wissen wir alle. Dass hier auch mal heftige Emotionen entstehen, ist meiner Meinung nach vollkommen normal. Ich habe mir daher erlaubt, diese Gefühle auch einfach zu zeigen und nicht immer eine starke Psychologin und pädagogisch korrekte Mutter sein zu müssen. Heißt: Runter mit der “Heile-Welt-Fassade”! Wenn du traurig bist und deine frühere Identität vermisst, dann lass den Tränen freien Lauf. Wenn du wütend bist, weil du dich ungerecht behandelt fühlst, dann sei auch mal laut. Wenn du Angst hast, weil du nicht weißt, was die Zukunft bringt, dann sprich mit einer vertrauten Person darüber.

Neben einer überwältigenden To-Do-Liste auch noch permanent Energie investieren zu müssen, um kontrolliert und angepasst zu sein, kann das den Bogen schnell überspannen. Das Ausleben der Gefühle ist daher kein Zeichen von Schwäche, sondern viel eher ein mutiger Schritt, sich seinem wahren Inneren zu stellen. Folgende Techniken können dir dabei helfen:

  1. Stimmungs-Playlists: Stelle dir verschiedene Playlists zusammen, die jeweils eine bestimmte Emotion verstärken. Nimm dir regelmäßig Zeit, um dich von den Takten mitreißen zu lassen.
  2. Emotions-Malbuch: Verwende Farben und Muster, um deinem aktuellen Gefühlszustand Ausdruck zu verleihen. Erkennst du Regelmäßigkeiten und Zusammenhänge?
  3. Gefühlsoase: Schaffe dir Rahmenbedingungen, in denen du dich so aufgehoben und sicher fühlst, dass du dich vollkommen gehen lassen kannst.

Geheimtipp

Zum Abschluss möchte ich noch meinen ganz persönlichen Geheimtipp teilen. Wenn mir alles zu viel wird und ich einfach nicht mehr kann, dann mache ich das so:

Ich setze sehr sehr dichte Kopfhörer auf und spiele ganz laut all jene Lieder, zu denen mein früheres Ich so richtig voller Leidenschaft getanzt und abgefeiert hat. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, ich bin nochmal 20. Dann tanze ich durch die Bars meiner Heimatstadt, verhalte mich vollkommen unvernünftig, flirte was das Zeug hält und vergesse für einen Moment einfach alles, was gerade anstrengend ist. Das ist mein innerer Zufluchtsort, den mir niemand nehmen kann.

 
Von außen sieht das dann in etwa so aus: Ich stehe mit Jogginghosen und einem T-Shirt voller Flecken mitten in der Küche. Das Baby im Tragetuch um den Bauch und überdimensionale Kopfhörer auf den Ohren. Der Boden ist voller Spielzeug, die Küche geht über von Geschirr – und dennoch schleicht sich ein kleines Lächeln in mein Gesicht, denn in meinem Kopf bin ich gerade einfach nur glücklich und ausgelassen.

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Fazit: Weniger Last, mehr Leichtigkeit

Ich weiß, dass Stress zum Leben dazugehört. Wer sich für Familie und Beruf entscheidet, entscheidet sich gleichzeitig auch für viele To-Dos, die damit einhergehen. Durch das Ablegen des Rucksacks, das Aussortieren des Inhalts und das Teilen mit meinem Mann habe ich aber genau die Leichtigkeit wiedergefunden, die ich so vermisst habe. Heute liebe ich das kunterbunte Familienchaos wieder, weil ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin.

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Quellen

(1) Dietmar Hobler, Christina Klenner, Svenja Pfahl, Peter Sopp, Alexandra Wagner: Wer leistet unbezahlte Arbeit? Hausarbeit, Kindererziehung und Pflege im Geschlechtervergleich, aktuelle Auswertungen aus dem WSI GenderDatenPortal, April 2017.

(2) Geserick, Christine; Hornung, Helena; Hübel, Teresa; Kaindl, Markus; Wernhart, Georg (2023): Arbeitsteilung in Partnerschaften. ÖIF Forschungsbericht Nr. 50. Wien.
DOI: 10.25365/phaidra.457

(3) Khan, S., Khan, R. A., Majeed, I., & Amjad, U. (2017). Chronic stress leads to anxiety and depression. Annals of Psychiatry and Mental Health, 5(1), 1091.

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Erstellt am: 14. November 2024
Familie, Stress - Kerstin Schuller