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Gibt es eine Therapie bei Spielsucht? Ein Erfahrungsbericht

Schon im Kindesalter ist Spielen ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens, der nicht nur der Unterhaltung, sondern auch dem Erkunden und Verstehen der Welt dient. Neben den sozialen Aspekten bieten Spiele aber auch die Chance, aus dem Alltäglichen auszubrechen und erlaubt es uns, in Rollen zu schlüpfen, die im realen Leben nicht erreichbar scheinen. Von der erfolgreichen Unternehmerin über den unschlagbaren Superhelden bis hin zur Fußball-Legende ist plötzlich alles möglich. Die Verlockung, der Routine des Lebens zu entkommen und eine Welt zu betreten, in der wir unsere Sehnsüchte stillen können, kann sehr mächtig sein. So stark, dass es uns derart in den Bann zieht, dass wir den Bezug zur Realität verlieren, einer Sucht verfallen und Therapie bei Spielsucht brauchen.

So ähnlich beginnt die Geschichte von Thomas (Name von der Redaktion geändert), Klient bei Instahelp. Seine Online-Spielsucht hätte dem jungen Studenten beinahe seine Zukunft gekostet. Ich, Kerstin Schuller, seit 11 Jahren in der psychologischen Beratung tätig, habe ihn ein Stück auf seinem Weg begleitet und darf seine Erfahrungen – den Weg in die Sucht und die schweren Schritte zurück in ein gesundes Leben – in diesem Bericht mit dir teilen.

 

Der Weg in die Sucht

Als wir uns im Rahmen des Erstgesprächs der Therapie kennenlernten, studierte Thomas gerade im zweiten Jahr Medizin und lebte mit anderen Studierenden in einer Wohngemeinschaft. Er träumte davon, Arzt zu werden und brachte in seinem Studium gute Leistungen. Im Gegensatz zu seinen Freund:innen zog sich Thomas gerne mal in sein Zimmer zurück und hatte immer schon eine Faszination für Computerspiele. Gerade in den Sommerferien, als alle anderen zu ihren Familien nach Hause fuhren, widmete sich Thomas seiner eigenen virtuellen Welt. Bislang ist es ihm immer gelungen, im Herbst ausreichend Motivation aufzubringen, um auf dem Boden der Realität wieder Fuß zu fassen. Bis zu dem Jahr, als sich seine langjährige Freundin von ihm trennte.

Trotz der schmerzenden Einsamkeit zog er sich weiter zurück und hatte jegliche Freude an sozialen Aktivitäten verloren. Den einzigen Hoffnungsschimmer erlebte er beim Spiel, wo er sich endlich nicht mehr alleine fühlte. Und so kam es, dass er an manchen Tagen sein Zimmer gar nicht mehr verließ, um einen neuen Spielfortschritt zu erlangen. Aus drei Stunden Spieldauer wurden plötzlich zehn und nach wenigen Wochen drehte sich sein gesamter Alltag nur noch um die Frage: Wann komme ich endlich wieder an meinen Computer? Er liebte die Person, die er in den Rollenspielen sein konnte und genoss das Gefühl, erfolgreich und stark zu sein. Der Online-Austausch mit anderen Gamern war ihm ein willkommener Ersatz für die soziale Isolation, in der er sich die meiste Zeit befand.

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Er vernachlässigte nicht nur sein Studium, sondern auch seine Gesundheit und empfand kein Verlangen mehr nach Körperhygiene oder regelmäßiger Ernährung und Bewegung. Ein Leben ohne sein Spiel war undenkbar für Thomas – er litt an einer Verhaltenssucht, war in einem permanenten Rauschzustand, ganz ohne Drogen. Doch glücklich? War er so gut wie nie.

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Ich habe eine Spielsucht – was nun?

Sein Verhalten blieb nicht unbemerkt und seine Freunde drängten ihn immer wieder dazu, sich Hilfe zu holen und eine Therapie für Spielsüchtige zu machen. Irgendwann spürte auch Thomas, dass er selbst kaum die Kraft aufbringen kann, sich aus seiner Sucht zu befreien. Er erzählte mir später:

“Von diesem Tag an wusste ich – das kann einfach nicht das Leben sein, das ich mir gewünscht hatte. Ich muss etwas ändern”.

 
Er fasste all seinen Mut zusammen und kontaktierte mich in meiner Instahelp Online-Praxis. Wir starteten die Beratung und Thomas ließ mich an seinen Gedanken und Gefühlen teilhaben.

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Bin ich spielsüchtig? Hilfe!

Seit neuestem ist die Computerspielsucht im ICD (Version 11), dem internationalen Handbuch für die Klassifikation verschiedener Krankheiten und Störungsbildern, enthalten. Dort wird sie definiert als “ein Muster von anhaltendem oder wiederkehrenden Spielverhalten (“digitales Spielen” oder “Videospielen”), das online oder offline stattfinden kann und sich durch Folgendes äußert:

  1. Beeinträchtigung der Kontrolle über das Spielen
  2. Zunehmende Priorität des Spielens in dem Maße, dass das Spielen Vorrang vor anderen Lebensinteressen und täglichen Aktivitäten hat
  3. Fortsetzung oder Eskalation des Spielens trotz Auftretens negativer Konsequenzen.”

 
Im ersten Schritt besprachen wir, woran man eine ernsthafte Spielsucht erkennt und was nun die wichtigsten Schritte sind, um den Weg aus der Sucht zu schaffen. Anhand der folgenden Beschreibung von Thomas wusste ich, dass eine Therapie für Spielsüchtige notwendig ist, um wieder einen gesunden Umgang mit Computerspielen zu finden:

Kontrollverlust
Thomas schilderte, dass er zwar immer wieder versuche, sich zu anderen Aktivitäten aufzuraffen, dass ihm dafür jedoch jegliche Motivation fehle. Sämtliche Versuche, das Studium wieder ernst zu nehmen oder Freund:innen zu kontaktieren, scheiterten, weil der Drang nach dem Spiel und die Sehnsucht nach der Flucht aus dem Alltag so übermächtig waren, dass er dem nicht standhalten konnte.

Hauptbeschäftigung
Thomas erzählte, dass seine Gedanken Tag und Nacht nur noch um das Spiel kreisen und er kaum noch andere Interessen hat. Selbst Dinge, die ihn früher fasziniert haben, berühren ihn nicht mehr. Wenn er gerade nicht am Computer war, beschäftigte ihn nur eine Frage: Wann kann ich endlich weiter spielen?

Negative Konsequenzen
Seine anfängliche Faszination für die Medizin war nicht mehr spürbar und zu den Prüfungen trat er meistens gar nicht erst an. Enge Freund:innen wandten sich zunehmend von ihm ab und er gestand sich selbst ein, dass er seinen Körper vollkommen vernachlässigte. Was war nur aus ihm geworden? Und wie kann er aus diesem Kreislauf wieder ausbrechen?

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Wie kann man eine Spielsucht behandeln?

Wir besprachen, welche Möglichkeiten wir zur Therapie bei Spielsucht haben und diskutierten auch über die Grenzen dieser, sodass sich Thomas zu meiner Hilfe ergänzend medizinische Hilfe vor Ort organisierte.
In unseren Gesprächen erarbeiteten wir, welche auslösenden Faktoren dazu beigetragen haben, dass sich das Suchtverhalten entwickelt hat, um herauszufinden, an welchen Punkten wir ansetzen können.

Ursachen der Spielsucht identifizieren:

  1. Psychologische Faktoren
    Wie bei vielen anderen Süchten, spielt auch hier das Belohnungssystem im Gehirn eine entscheidende Rolle, welches durch die Gestaltung der Spiele permanent aktiviert wird und nach weiterer Belohnung verlangt. Zusätzlich dazu ist das Spiel für viele Menschen eine Art emotionale Zuflucht, was die Bindung noch weiter verstärkt.
  2. Soziale Faktoren
    Gerade Personen, die sich sozial isoliert fühlen oder aufgrund ihrer Persönlichkeit Schwierigkeiten haben, Kontakte aufzubauen, erleben durch das Online-Spiel eine für sie erträgliche Form der sozialen Interaktion. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe kann weiteren Druck ausüben, um den eventuellen Status nicht zu verlieren.
  3. Persönlichkeitsfaktoren
    Menschen mit geringem Selbstwertgefühl und impulsiven Persönlichkeitsmerkmalen können besonders anfällig dafür sein, eine Spielsucht zu entwickeln, da diese durch Erfolge in der virtuellen Welt die Bestätigung finden, die ihnen in der realen Welt fehlt. Auch bestehende psychische Erkrankungen können das Risiko für Suchterkrankungen erhöhen.
  4. Umweltfaktoren
    Die leichte Verfügbarkeit von Online-Spielen – beispielsweise über das Smartphone – sowie die permanente Zugänglichkeit erhöhen die Wahrscheinlichkeit, ein Suchtverhalten zu entwickeln. Fehlende Familienstrukturen,mangelnde Freizeitaktivitäten, stressige Situationen bzw. Belastungen in Familie oder Beruf können zudem verstärkend auf die Suchtentwicklung wirken.

In unseren Gesprächen erkannten wir, dass alle beschriebenen Faktoren bei der Entstehung seiner Sucht eine wichtige Rolle spielten: Es war eine Art Zufluchtsort für Thomas, um seine emotionale Belastung durch die Trennung nicht so stark spüren zu müssen. Das Online-Spiel konnte den Schmerz der sozialen Isolation lindern und die Erfolge stärkten für den Moment sein Selbstbewusstsein. Der fehlende Kontakt zur Familie und das Aufgeben jeglicher Hobbys haben die Entwicklung dann noch weiter gefördert.

In der psychologischen Beratung online erarbeiteten wir gemeinsam ein realistisches Ziel für seine Spielsuchttherapie und ich stellte einen Plan auf, wie wir uns diesem annähern können. Das Ziel lautete: Thomas möchte sich seinen Gefühlen stellen, Studium und Freizeitaktivitäten wieder aufnehmen, sich um seine Gesundheit kümmern und das Online-Spiel komplett hinter sich lassen.

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Wichtige Säulen der Spielsuchttherapie

In der Beratung orientierte ich mich an den Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie, da diese als Therapie bei Spielsucht zahlreiche Ansätze und Interventionen bietet. Auf dieser Basis verfolgten wir folgende Schritte, um uns seinem Ziel anzunähern:

  1. Emotionale Regulation
    Durch die offene Kommunikation mit mir lernte Thomas, seine Gefühle wahrzunehmen, diese zu benennen und adäquat zu verarbeiten. Das Spielen sollte nicht länger ein Bewältigungsmechanismus sein und Thomas musste lernen, auch unangenehme Gefühle auszuhalten. Das therapeutische Schreiben über seine emotionale Befindlichkeit stellte sich für ihn als wirksamste Maßnahme dar, das loszuwerden, was er zuvor nicht ausdrücken konnte.
  2. Training der sozialen Fähigkeiten
    Um auch außerhalb der virtuellen Welt ein soziales Netzwerk aufzubauen, arbeiteten wir an seinen zwischenmenschlichen Fähigkeiten und identifizierten hemmende und negative Glaubenssätze. Thomas lernte, dysfunktionale Denkmuster – wie beispielsweise: “Ich bin wertlos und niemand mag mich” – zu erkennen und durch angemessene Gedanken zu ersetzen.
  3. Stärkung des Selbstwerts und Impulskontrolltraining
    Indem wir uns in der Beratung darauf konzentrierten, welche Erfolge Thomas im realen Leben schon erreichen konnte, lenkten wir den Fokus immer wieder auf seine Stärken und Talente und konnten dadurch seinen Selbstwert steigern. Ein wesentlicher Baustein war auch das Impulskontrolltraining, welches aus mehreren Elementen bestand und darauf abzielte, inneren Reizen nicht impulsiv nachzugeben. Ein Beispiel dafür ist die “10-Sekunden-Regel”, welche besagt, dass man auf einen inneren Impuls nicht sofort reagiert, sondern stets 10 Sekunden innehält, um den stärksten Drang abzuschwächen und rationaler denken zu können.
  4. Änderung der Umweltfaktoren
    Wie bei jeder Sucht, war es auch bei Thomas unumgänglich, die auslösenden Faktoren zu beseitigen und seine Umgebung so zu gestalten, dass diese ihn nicht zum Problemverhalten verleiten kann. Er war bereit, seine Accounts zu löschen und eine Sperre für diverse Seiten einzurichten.

Die Beratung mit Thomas und seine Spielsuchttherapie dauerten mehrere Monate und er erlebte zahlreiche Fortschritte, musste aber auch immer wieder mit Rückschlägen umgehen. Dennoch schaffte er es, die vereinbarten Schritte umzusetzen und das Suchtverhalten zu beenden. Nach einem Jahr haben wir die Therapie bei Spielsucht abgeschlossen, kurz nachdem Thomas sein Studium wieder aufgenommen und die erste Prüfung erfolgreich gemeistert hat.

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Therapie für Spielsüchtige: Das kannst du selbst tun

Wenn du selbst die Kontrolle über dein Spielverhalten verloren hast und nicht weißt, wie du den Weg zurück in ein gesundes Verhaltensmuster finden kannst, orientiere dich an folgenden Punkten:

  1. Beobachte dich selbst und führe ein Tagebuch, um herauszufinden, was auslösende Faktoren sind, die das Verlangen nach dem Spiel schüren.
  2. Setze dir realistische und messbare Ziele, um das Suchtverhalten schrittweise zu reduzieren und belohne dich für Meilensteine.
  3. Suche alternative Aktivitäten, die das Online-Spiel ersetzen können. Soziale Interaktion, sportliche Aktivitäten oder diverse Hobbys können hier sehr wichtig sein.
  4. Schaffe dir ein starkes soziales Netzwerk, in dem du so geschätzt und angenommen wirst, wie du bist.
  5. Lerne, mit Stress und negativen Emotionen umzugehen, sodass du erst gar keine Kompensation durch eine Sucht brauchst.
  6. Vermeide Auslöser, indem du Situationen, Orte oder Personen identifizierst, die das Suchtverhalten verstärken.
  7. Entwickle einen Notfallplan, den du anwenden kannst, wenn das Verlangen überwältigend wird.
  8. Nimm professionelle Hilfe in Anspruch, wenn du die Kontrolle über dein Verhalten nicht wieder erlangen kannst.

Psychologische Beratung kann helfen, auslösende und aufrechterhaltende Faktoren einer Spielsucht zu identifizieren. Unterschiedliche therapeutische Techniken können dich dabei unterstützen, mit schwierigen Emotionen und Stress umzugehen, damit du die Kraft hast, den Weg zurück in ein gesundes Verhalten zu finden.

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Erstellt am: 6. Juni 2024
Suchtverhalten - Instahelp Redaktion